Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Er entdeckte, daß die Indianer lesen und schreiben konnten, aus dem einfachen Grunde, weil der Priester sie das gelehrt hatte; daß sie aber möglichst wenig lasen oder schrieben, weil sie eine natürliche Vorliebe für unmittelbarere Kommunikationen hatten. Er erfuhr, daß diese sonderbaren Leutchen, die da wie Häufchen auf der Veranda saßen und kein Haar bewegten, auf ihren eigenen Landstücken sehr hart arbeiten konnten; besonders jene, die mehr als nur halbe Spanier waren; und er erfuhr mit noch größerem Erstaunen, daß sie alle Landstücke hatten, die wirklich ihr Eigentum waren. So weit war das Teil einer dickschädeligen Tradition, die den Eingeborenen sehr eingeboren war. Aber auch dabei hatte der Priester eine gewisse Rolle gespielt und hatte dabei vielleicht zum ersten wie zum letzten Mal eine Rolle in der Politik gespielt, auch wenn es nur Lokalpolitik war. Kürzlich nämlich hatte jene Gegend eines dieser Fieber des atheistischen, ja fast anarchistischen Radikalismus heimgesucht, die periodisch in Ländern der lateinischen Kultur ausbrechen, gewöhnlich in einer Geheimgesellschaft beginnen und gewöhnlich in einem Bürgerkrieg und sehr wenig mehr enden. Der lokale Leiter der ikonoklastischen Partei war ein gewisser Alvarez, ein ziemlich pittoresker Abenteurer portugiesischer Nationalität, aber teilweise von, wie seine Gegner behaupteten, negerischem Ursprung, das Oberhaupt jeder beliebigen Anzahl von Logen und Tempeln der Initiation von jener Art, die an solchen Orten selbst den Atheismus noch mit Mystischem bekleidet. Der Führer der konservativeren Partei war ein sehr viel gewöhnlicherer Mensch, ein sehr reicher Mann namens Mendoza, der Besitzer vieler Fabriken und höchst ehrenwert, aber nicht sehr aufregend. Es war allgemeine Ansicht, daß die Sache von Recht und Ordnung völlig verloren gewesen wäre, hätte sie sich nicht eine populärere Politik zu eigen gemacht in der Form der Sicherung von Land für die Bauern; und diese Bewegung war besonders von der kleinen Missionsstation Father Browns ausgegangen.
Während er sich mit dem Journalisten unterhielt, kam Mendoza, der Führer der Konservativen, herein. Er war ein stämmiger dunkler Mann mit einem kahlen birnenförmigen Kopf auf einem runden birnenförmigen Körper; er rauchte eine kräftig duftende Zigarre, aber als er in die Gegenwart des Priesters kam, warf er sie – vielleicht ein bißchen theatralisch – fort, als betrete er eine Kirche; und er verbeugte sich so tief, wie man es bei einem so korpulenten Herrn nicht für möglich gehalten hätte. Er legte immer besonderen Wert auf seine Umgangsformen, insbesondere gegenüber religiösen Institutionen. Er war einer jener Laien, die viel kirchlicher sind als die Kirchenmänner. Das war Father Brown reichlich peinlich, vor allem, wenn es so auch ins private Leben eingebracht wurde.
»Ich glaube, ich bin antiklerikal«, pflegte Father Brown mit schwachem Lächeln zu sagen; »aber es gäbe auch kaum halb soviel Klerikalität, wenn man diese Dinge bloß den Klerikern überließe.«
»Hallo, Mr. Mendoza«, rief der Journalist neu belebt aus, »ich glaube, wir sind uns schon begegnet. Waren Sie nicht auf der Handelsmesse in Mexiko im letzten Jahr?«
Mendozas schwere Augenlider zeigten ein Flattern des Wiedererkennens, und er lächelte auf seine langsame Art. »Ich erinnere mich.«
»Schöne fette Geschäfte hat man da in einer Stunde oder zwei gemacht«, sagte Snaith mit Genuß. »Dürfte Ihnen auch ‘ne schöne Scheibe eingebracht haben, nehme ich an.«
»Ich hatte viel Glück«, sagte Mendoza bescheiden.
»Glauben Sie das ja nicht!« rief der begeisterte Snaith. »Das Glück kommt zu denen, die es festzuhalten wissen; und Sie haben gut und sauber festgehalten. Aber ich hoffe, ich störe Ihre Geschäfte nicht.«
»Keineswegs«, sagte der andere. »Ich habe oftmals die Ehre, auf ein kleines Gespräch beim Padre vorbeizukommen. Nur auf ein kleines Gespräch.«
Es sah so aus, als vollende diese Vertrautheit zwischen Father Brown und einem erfolgreichen und sogar berühmten Geschäftsmann die Versöhnung zwischen dem Priester und dem praktischen Mr. Snaith. Er spürte, darf man annehmen, wie eine neue Respektabilität Station und Mission einhüllte, und er war bereit, solche gelegentlichen Erinnerungen an die Existenz von Religion zu übersehen, wie sie eine Kapelle und ein Pfarrhaus nicht immer ganz vermeiden können. Er geriet ob des Priesters Programm in Begeisterung – wenigstens
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