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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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glauben könnte. Er ist ein großer schwarzer Apportierer namens Nacht, und das ist auch ein passender Name; denn mir scheint das, was er getan hat, ein noch dunkleres Mysterium als der Mord. Wie Sie wissen, befinden sich Druces Haus und Garten am Meer; wir sind zunächst rund eine Meile über den Sand davongegangen und haben uns dann umgedreht, um den Weg zurückzugehen. Wir kamen an einem reichlich seltsamen Felsen vorbei, den man den Schicksalsfelsen nennt und der in der Gegend berühmt ist, denn er ist ein Beispiel dafür, wie ein Fels auf einem anderen balanciert, so daß ein Stoß ihn hinabstürzen würde. Er ist nicht wirklich hoch, aber der überhängende Umriß läßt ihn ziemlich wild und schaurig erscheinen; jedenfalls für mich, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß meine fröhlichen jungen Gefährten Sinn für das Malerische haben. Vielleicht aber habe ich auch begonnen, eine Art Stimmung zu empfinden; denn gerade dann tauchte die Frage auf, ob es an der Zeit sei, zum Tee zurückzukehren, und schon da hatte ich wohl eine Art Vorahnung, daß die Frage der Zeit eine große Rolle spiele. Weder Herbert Druce noch ich hatten eine Uhr, und so riefen wir nach seinem Bruder, der ein paar Schritte zurückgeblieben war, um sich seine Pfeife im Schutz der Hecke anzuzünden. Daher kam es, daß er die Zeit, zwanzig nach vier, mit seiner starken Stimme durch das fallende Dämmerlicht ausrief; und irgendwie ließ diese Lautheit das wie die Verkündung von irgend etwas Ungeheurem erscheinen. Daß ihm das unbewußt war, vertiefte diesen Eindruck nur noch; aber so ist das mit Vorzeichen ja immer; und an jenem Nachmittag waren bestimmte Uhrschläge ja besonders unheilschwanger. Nach dem Zeugnis von Dr. Valentine war der arme Druce tatsächlich gegen halb fünf gestorben.
    Na, die Jungens sagten jedenfalls, wir brauchten uns für weitere zehn Minuten nicht auf den Rückweg zu machen, und so schlenderten wir noch ein wenig weiter den Strand entlang und trieben nichts Besonderes – wir schleuderten Steine für den Hund und warfen ihm Stöcke in die See, damit er hinter ihnen herschwömme. Mir aber wurde die Dämmerung immer bedrückender, und der Schatten des kopflastigen Schicksalsfelsens lag wie eine Last auf mir. Und dann ereignete sich das Eigenartige. Nacht hatte gerade Herberts Spazierstock aus dem Meer zurückgebracht, und sein Bruder hatte den seinen hineingeschleudert. Der Hund schwamm wieder raus, aber in genau dem Augenblick, in dem es die halbe Stunde geschlagen haben muß, hielt er mit Schwimmen inne. Er kam ans Ufer zurück und stand da vor uns. Und dann warf er plötzlich den Kopf zurück und stieß ein Heulen, ein wahres Weheheulen aus – wie ich es noch nie gehört hatte.
    ›Was zum Teufel ist denn mit dem Hund los?‹ fragte Herbert; aber keiner von uns konnte antworten. Eine lange Stille herrschte, nachdem das Heulen und Winseln der Kreatur an dem verlassenen Strand erstorben war; und dann wurde die Stille gebrochen. Bei meinem Leben, sie wurde gebrochen von einem schwachen und fernen Schrei, wie dem Schrei einer Frau hinter den Hecken im Binnenland. Damals wußten wir nicht, was es war; aber später wußten wir es. Es war der Schrei, den das Mädchen ausstieß, als sie zuerst die Leiche ihres Vaters sah.«
    »Ich nehme an, Sie sind dann zurückgegangen«, sagte Father Brown geduldig. »Und was geschah dann?«
    »Ich werde Ihnen erzählen, was dann geschah«, sagte Fiennes mit grimmigem Nachdruck. »Als wir in jenen Garten zurückkamen, sahen wir als erstes Traill, den Anwalt; ich kann ihn immer noch sehen, wie er sich da mit dem schwarzen Hut und den schwarzen Koteletten vor dem Hintergrund der blauen Blumen abhob, die sich zum Gartenhaus hinab erstreckten, und vor dem Sonnenuntergang und dem sonderbaren Umriß des Schicksalsfelsens in der Ferne. Sein Gesicht und seine Gestalt befanden sich vor dem Sonnenuntergang im Schatten; aber ich schwöre, daß seine weißen Zähne leuchteten und daß er lächelte.
    In dem Augenblick, als Nacht den Mann sah, stürmte der Hund vorwärts und stand da mitten auf dem Pfad und bellte ihn wie besessen mörderisch an, wobei er Verfluchungen hervorstieß, die in ihrer fürchterlichen Deutlichkeit des Hasses fast wie Worte wirkten. Und der Mann krümmte sich zusammen und floh zwischen den Blumen den Pfad hinab.«
    Father Brown sprang mit erschreckender Ungeduld auf.
    »Dann hat ihn also der Hund angeklagt, oder?« rief er. »Das Orakel des Hundes verurteilte ihn. Haben

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