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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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unpersönliche Würde gehüllt. »Aber«, sagte er, »Sie wollen doch nicht etwa, daß ich der Religion durch etwas diene, von dem ich genau weiß, daß es eine Lüge ist? Ich weiß nicht genau, was Sie mit dem Satz gemeint haben; und, um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, ob Sie das tun. Lügen mag der Religion dienen; aber ich bin sicher, daß es nicht Gott dient. Und da Sie so sehr darauf herumharfen, was ich glaube, wäre es da nicht angebracht, wenn Sie wenigstens eine Ahnung davon bekämen, was das ist?«
    »Ich glaube nicht, daß ich Sie ganz verstehe«, bemerkte der Millionär neugierig.
    »Ich glaube nicht, daß Sie das tun«, sagte Father Brown einfach. »Sie sagen, diese Geschichte sei durch spirituelle Kräfte geschehen. Welche spirituellen Kräfte? Sie glauben doch nicht etwa, die heiligen Engel hätten ihn sich geschnappt und in den Parkbaum gehängt, oder? Und was die unheiligen Engel angeht – nein, nein, nein. Die Männer, die das taten, taten ein böses Ding, aber sie gingen nicht über ihre eigene Bosheit hinaus; sie waren nicht böse genug, um mit spirituellen Kräften umzugehen. Ich weiß, bei meinen Sünden, einiges über den Satanismus; ich war gezwungen, es zu wissen. Ich weiß, was das ist, was es praktisch immer ist. Es ist stolz, und es ist verschlagen. Es liebt es, überlegen zu sein; es liebt es, die Unschuldigen mit halbverstandenen Dingen zu entsetzen, den Kindern Gänsehaut zu verursachen. Deshalb liebt es Mysterien und Initiationen und Geheimgesellschaften und all das andere so sehr. Seine Augen sind nach innen gewendet, und wie groß und erhaben es auch erscheinen mag, es verbirgt immer ein kleines verrücktes Lächeln.« Er schauerte plötzlich zusammen, als habe ihn ein eiskalter Luftzug getroffen. »Kümmern Sie sich nicht um die; sie haben mit dem hier nichts zu tun, glauben Sie mir. Glauben Sie denn, daß mein armer wilder Ire, der wie rasend die Straße herabrannte und die Hälfte der Geschichte heraussprudelte, als er nur mein Gesicht sah, und der davonlief vor lauter Angst, noch mehr herauszusprudeln, glauben Sie, daß Satan dem irgendwelche Geheimnisse anvertraut? Ich gebe zu, daß er sich an einer Verschwörung beteiligte, wahrscheinlich an einer Verschwörung mit zwei anderen Männern, die schlimmer sind als er; aber trotz allem befand er sich nur in einem ungeheuren Zorn, als er die Straße hinabrannte und seine Pistole und seinen Fluch losfeuerte.«
    »Aber was auf Erden soll denn das alles bedeuten?« fragte Vandam. »Eine Spielzeugpistole und einen lächerlichen Fluch abzufeuern würde niemals getan haben, was getan worden ist, es sei denn durch ein Wunder. Sonst hätte es Wynd nicht wie einen Elf verschwinden lassen. Sonst hätte es ihn nicht eine Viertelmeile weiter mit einem Strick um den Hals wieder auftauchen lassen.«
    »Nein«, sagte Father Brown scharf; »aber was hätte es getan?«
    »Ich kann Ihnen immer noch nicht folgen«, sagte der Millionär ernsthaft.
    »Ich frage, was hätte es getan?« wiederholte der Priester und zeigte zum ersten Mal Anzeichen einer Bewegung, die an Ärger grenzte. »Sie wiederholen ständig, daß der Schuß mit einer Platzpatrone dieses oder jenes nicht tun würde; daß, wenn das alles wäre, der Mord nicht geschehen wäre oder das Wunder nicht geschehen wäre. Es scheint Ihnen nicht einzufallen, zu fragen, was wirklich geschehen würde. Was würde geschehen, wenn ein Verrückter genau unter Ihrem Fenster ohne Sinn und Verstand losfeuerte? Was wäre das allererste, was geschähe?«
    Vandam blickte nachdenklich drein. »Ich schätze, ich würde aus dem Fenster schauen«, sagte er.
    »Ja«, sagte Father Brown, »Sie würden aus dem Fenster schauen. Das ist die ganze Geschichte. Es ist eine traurige Geschichte; aber jetzt ist sie vorüber; und außerdem gibt es mildernde Umstände.«
    »Wieso sollte er aber zu Schaden kommen, nur indem er aus dem Fenster schaute?« fragte Alboin. »Er stürzte nicht hinaus, sonst wäre er unten in der Straße gefunden worden.«
    »Nein«, sagte Father Brown mit leiser Stimme. »Er stürzte nicht ab. Er stieg empor.«
    In seiner Stimme war etwas wie das Grollen eines Gongs, wie ein Klang des Schicksals, sonst aber fuhr er gleichmäßig fort:
    »Er stieg empor, aber nicht auf Flügeln; nicht auf den Flügeln heiliger oder unheiliger Engel. Er stieg empor am Ende eines Strickes, genau so, wie Sie ihn im Park gesehen haben; eine Schlinge senkte sich ihm über den Kopf im gleichen Augenblick, in dem er

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