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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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solchen Leviathans sein können.
    Ob nun aus einem Sinn fürs Angemessene oder aus Mangel an modernerer Ausrüstung, der geistliche Altertumskundler hatte zur Beleuchtung der Kapelle lediglich für 4 große Kerzen gesorgt, die in großen hölzernen Kerzenhaltern auf der Erde standen. Nur eine von diesen brannte, als sie eintraten, und warf einen schwachen Schimmer über die mächtigen architektonischen Formen. Nachdem sie sich alle versammelt hatten, entzündete der Kirchenmann auch die drei anderen, und Aussehen und Inhalt des großen Sarkophags traten deutlicher in Sicht.
    Aller Augen wandten sich zunächst dem Antlitz des Toten zu, das durch all diese Jahrhunderte einen Anschein von Leben bewahrt hatte dank geheimer Verfahren aus dem Orient, die, wie man sagte, aus heidnischer Vorzeit überkommen und den einfachen Friedhöfen unserer Insel unbekannt waren. Der Professor konnte kaum einen Ausruf des Erstaunens unterdrücken; denn obgleich das Gesicht bleich wie eine Wachsmaske war, sah es doch aus wie das eines schlafenden Mannes, der soeben erst die Augen geschlossen hatte. Das Gesicht war vom asketischen, vielleicht gar fanatischen Typus, mit hohem Knochenbau; die Gestalt war in einen goldenen Chorrock und in prächtige Gewänder gekleidet, und hoch oben auf der Brust glänzte am Halsansatz das berühmte Goldkreuz an einer kurzen goldenen Kette, oder richtiger an einem Halsband. Der Steinsarg war geöffnet worden, indem man seinen Deckel am Kopfende hochgehoben und mittels zweier starker hölzerner Stempel aufgestützt hatte, die oben unter die Kante des Deckels geklemmt und unten hinter dem Kopf des Leichnams in die Ecken des Sarges verkeilt waren. Daher konnte man weniger von den Füßen oder dem unteren Teil der Gestalt sehen, doch war das Antlitz voll von Kerzenlicht beschienen, und im Gegensatz zu seiner Farbe toten Elfenbeins schien das Kreuz aus Gold zu flackern und zu funkeln wie Feuer.
    Professor Smaills hohe Stirn trug eine tiefe Denker- oder gar Sorgenfalte, seit der Kirchenmann die Geschichte des Fluches erzählt hatte. Weibliche Intuition aber, nicht frei von weiblicher Hysterie, verstand die Bedeutung dieser brütenden Unbeweglichkeit besser als die Männer. In das Schweigen jener vom Kerzenlicht erhellten Höhle rief Lady Diana plötzlich hinein:
    »Rühren Sie es nicht an, sage ich Ihnen!«
    Aber der Mann hatte bereits eine seiner schnellen löwenähnlichen Bewegungen vollzogen und lehnte sich vorwärts über den Körper. Im nächsten Augenblick fuhren sie alle auseinander, manche vorwärts, manche rückwärts, aber alle mit einer erschreckten wegduckenden Bewegung, als stürze der Himmel ein.
    Als der Professor einen Finger an das goldene Kreuz legte, schienen die hölzernen Stempel, die sich beim Halten des hochgeklappten Steindeckels nur leicht gebogen hatten, zusammenzuzucken und sich mit einem Ruck zu strecken. Der Rand der Steinplatte rutschte von seinen hölzernen Stützen; und in ihren Seelen und Mägen entstand das Übelkeit erregende Gefühl niedersausenden Unheils, als ob sie alle von einer steilen Klippe hinabgeschleudert worden seien. Smaill hatte seinen Kopf schnell zurückgezogen, aber nicht mehr rechtzeitig; und er lag besinnungslos neben dem Sarg, in einer roten Pfütze von Blut aus Schwarte oder Schädel. Und der alte Steinsarg war erneut geschlossen, wie er es durch die Jahrhunderte gewesen war; nur daß ein oder zwei Splitter oder Späne in dem Spalt staken und entsetzlich an Knochen erinnerten, die ein Ungeheuer zermalmt hatte. Der Leviathan hatte mit seinen steinernen Kiefern zugebissen.
    Lady Diana starrte den Niedergeschmetterten mit Augen an, die einen elektrischen Glanz wie vom Wahnsinn hatten; ihr rotes Haar sah über ihrem bleichen Gesicht im grünlichen Zwielicht scharlachfarben aus. Smyth sah sie immer noch mit etwas Hündischem in der Neigung seines Kopfes an; aber es war der Ausdruck eines Hundes, der einen Herrn anstarrt, dessen Katastrophe er nur teilweise verstehen kann. Tarrant und der Ausländer waren in ihrer üblichen mürrischen Haltung erstarrt, aber ihre Gesichter waren lehmfarben geworden. Der Vikar schien ohnmächtig zu sein. Father Brown kniete neben der hingestreckten Gestalt und versuchte, deren Zustand zu ergründen.
    Zum allgemeinen Erstaunen kam der byronische Müßiggänger Paul Tarrant ihm zu Hilfe.
    »Am besten tragen wir ihn rauf an die Luft«, sagte er. »Vielleicht hat er da noch eine Chance.«
    »Er ist nicht tot«, sagte Father Brown mit

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