Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
und wenig oder kein Melanin eingelagert bekommen, weil sie nicht so hart werden müssen. Der schwarze Farbstoff, das Eumelanin, ist notwendig, um den Federn genügend Festigkeit zu geben. Die großen Schwungfedern an Arm und Hand, die im Flug den stärksten Belastungen ausgesetzt werden, sind daher schwarz. Die Einlagerung des roten Farbstoffs ins Gefieder kommt einer Entsorgung von Überschuss gleich, der sich im Körper angesammelt hat. Der Weg der Ausscheidung führt nicht über Darm und Nieren, die damit nicht belastet werden, sondern über die Haut. Federn sind Hautgebilde, totes Material. Bei der Mauser werden sie abgeworfen und erneuert. Das Übermaß an Carotinoiden belastet so den Stoffwechsel nicht. Sie werden regelmäßig entsorgt, ohne den Abbau im Stoffwechsel in Anspruch zu nehmen. Beträchtliche Mengen der Carotinoide werden zwar vom Körper gebraucht, aber bei weitem nicht so viel, wie mit der Nahrung aufgenommen wird.
Am meisten Carotinoide benötigen die Weibchen. Sie beschicken damit den Dotter ihrer Eier. Deshalb ist dieser (rot)gelb gefärbt. Die Carotinoide schützen den sich entwickelnden Embryo im Ei in vergleichbarer Weise wie das Immunsystem der Mutter den Fötus im Mutterleib. Doch da das Ei nicht mehr mit dem mütterlichen Körper verbunden, sondern ganz auf sich allein gestellt ist, muss es alles enthalten, was eine ungestörte Entwicklung benötigt. Im Ei lebt der Jungvogel in einem abgeschlossenen Universum. Erst mit dem Schlüpfen wird eine Unterstützung durch die Mutter oder beide Eltern, wie bei den Flamingos, möglich. Verlässt das Junge das Ei, tritt es, wie geschildert, in eine zweifellos sehr harte Umwelt ein. Darin herrschen große Hitze, hoher Salzgehalt im Wasser der unmittelbaren Umgebung und massive Infektionsgefahr, weil so viele Artgenossen auf engstem Raum in der Brutkolonie beisammen sind. Sie können einander leicht mit Krankheitserregern anstecken. Als Nahrung erhält das Junge der Flamingos eine blutartige Flüssigkeit, die deshalb blutrot aussieht, weil sie weitere Carotinoide enthält. Solange es noch wächst, werden diese offensichtlich aufgebraucht, denn das Gefieder der Küken bleibt grau, bis sie anfangen, die an Carotinoiden so reiche Nahrung selbst aufzunehmen. Erst dann kommt allmählich das Übermaß an rotem Farbstoff zustande, der nun ins Gefieder abgelagert wird. Blutrote Schnäbel und Beine, zumindest an den stärker durchbluteten Gelenkbereichen sowie das kräftige Rot an den Flügeln, das bei der Balz präsentiert wird, signalisieren den Partnern den Gesundheitszustand. Darin drücken sich Eignung und Bereitschaft zum Brüten aus. Die Intensität der roten Färbung besagt, dass genügend Proteine für die Fortpflanzung gespeichert sind. Das Schütteln der hoch gereckten, großenteils blutroten Schnäbel vor den Augen der anderen bekräftigt den guten Gesundheitszustand. Gruppe um Gruppe steigert sich nun hinein in die Stimmung, die schließlich die allgemeine Brutbereitschaft auslöst. Das flammende Rot wirkt also tatsächlich und ganz direkt daran mit, dass bald wieder neue Phönixe aus der »Asche« der grauen Salzpfannen aufsteigen.
In Zoologischen Gärten gehaltene Flamingos verblassten nach der Mauser, wenn ihre künstliche Nahrung nicht genügend Carotinoide enthielt. Sie waren in diesem Zustand nicht zum Balzen und Brüten zu bewegen. Der Mangel konnte, wie erkannt wurde, leicht behoben werden. Flamingos lassen sich mit entsprechender Fütterung fast beliebig heller oder dunkler rot einfärben. Ein Rosaflamingo, der jahrelang an den Stauseen am unteren Inn, also in reinem Süßwasser lebte, war schließlich kaum noch von Schwänen zu unterscheiden, wenn er bis zum Bauch im Wasser stand und Kopf und Hals eintauchte. Er überstand die Winter, flog gut und gab keinerlei Anzeichen von schlechter Kondition. Was ihm zum Leben genügte, hätte zur Fortpflanzung jedoch nicht gereicht. Doch auch das prächtigste Rot tut es allein nicht, um bei einem Paar die Bereitschaft zum Brüten auszulösen. Flamingos brauchen die Stimulation durch die Gruppe. Sie führt zur Gleichschaltung der Massen und garantiert so den gelegentlichen Bruterfolg. Sind die Artgenossen noch nicht so weit wie einzelne Paare, warten diese, bis allgemeine Brutstimmung aufgekommen ist.
Flamingos sind trotz dieser besonderen Umstände nicht sehr gefährdet. Bruterfolge muss es bei ihnen nicht jedes Jahr geben. Sie leben lange genug; zwei Jahrzehnte und länger. Kommt es zu
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