Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Seefahrer. Ihre besonderen nautischen Künste überraschen. Sie sind schwer erklärlich für ein Volk, das vorher lange im Inland (Kanaan) oder, archäologischen Funden zufolge, auf der Halbinsel Sinai gelebt haben soll. Die biblische Genesis stuft den Urvater der Sidonier, Sidon, als Sohn Kanaans ein. Demnach war Sidon ein Enkel Noahs und Kanaan dessen Sohn Cham. Dieser Name bedeutete im Phönizischen »rot«. Die Phönizier waren also sowohl ihrer Herkunft gemäß als auch in der Bezeichnung der Griechen ganz wie der Phönix mit Rot verbunden. Sie waren »die roten Seefahrer«.
Die altägyptische Hieroglyphe Fenchu enthielt bezeichnenderweise nicht nur die Zeichen für Baum (Blatt, Stamm) und Baumfällen, sondern daneben eine Schnecke, die über dem Wasser (übers Meer) kriecht. Auf sie kommt es an. Denn die Phönizier gewannen das für sie bezeichnende Rot aus Purpurschnecken, vorwiegend aus der Echten Purpurschnecke ( Murex ( Trunculariopsis ) trunculus ) und dem Brandhorn, auch Herkuleskeule genannt, ( Murex ( Bolinus) brandaris ). Beide Purpurschnecken, die vom Mittelmeer bis in den Atlantik verbreitet sind, hatte Linné 1758 bereits gekannt und wissenschaftlich benannt. Seit der Antike spielt die Purpurfärbung von Stoffen eine besondere Rolle. Sie soll die Phönizier reich gemacht haben. Dieses Rot ist jedoch in der lebenden Schnecke nicht sichtbar. Es tritt auch nicht sogleich auf. Die Schnecke muss erst entsprechend, und zwar verhältnismäßig kompliziert, behandelt werden. Quelle der Färbung ist der gelbliche Schleim einer Drüse in der Mantelhöhle der etwa acht Zentimeter großen Schnecken. Plinius der Ältere beschrieb um etwa 50 n.Chr. die Herstellung in seiner ›Naturgeschichte‹, einem zur damaligen Zeit sehr bekannten und hochgeschätzten Werk. Den lebenden Schnecken, die man vornehmlich in Reusen gefangen hatte, wurde die Drüse entnommen. Nachdem man diese zerquetscht, drei Tage lang in Salz eingelegt und anschließend zehn Tage gekocht hatte, gab man das zu färbende Gewebe in die Brühe, durchtränkte den Stoff und hing ihn dann im Freien zum Trocknen auf. Durch die Einwirkung der Sonne entwickelte sich je nach Grad der Einfärbung ein Spektrum von Grün über Blau und Violett bis hin zum tiefen Rot und dunklem Purpur. Die benötigten Schneckenmengen waren gewaltig: Etwa 8000 Schnecken ergaben ein Gramm an konzentriertem Farbstoff. Diese Menge kostet gegenwärtig etwa 2000 Euro.
Purpur war die teuerste und von den Mächtigen begehrteste Farbe. Der Purpurmantel sollte höchste Macht zum Ausdruck bringen. An der Schwelle zur Neuzeit, im Jahre 1468, führte der Papst den Purpur als Würdezeichen der Kardinäle ein. Von den Purpurschnecken stammte die edle Farbe damals allerdings zumeist nicht mehr. Über ein Jahrtausend lang war ihre Herstellung aus Purpurschnecken in Vergessenheit geraten. Im Oströmischen Reich hielt sich die Verwendung von Purpur am längsten. Byzanz lag der ursprünglichen Quelle einfach weit näher als Rom, das mittelalterliche Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Bereits seit der frühen Neuzeit, verstärkt im 17. und 18. Jahrhundert, lösten andere Farbstoffe wie Indigo den Schneckenpurpur ab. Mit diesem ist Indigo chemisch tatsächlich nahe verwandt. Denn was aus der Schneckendrüse gewonnen wird, stellt eine nur leicht veränderte Form von Indigo (nämlich 6,6 Dibrom-Indigo, so seine chemische Bezeichnung) dar. In den Benzolringen sind nur zwei Wasserstoffatome durch Brom ersetzt. Zwei Umstände, die gewiss nicht nebensächlich sind, erklärt diese Geschichte jedoch nicht: Woher kannten die Phönizier die Gewinnung von Purpurfarbe aus Meeresschnecken und warum wurden sie nicht danach benannt? Purpur hieß nämlich im Altgriechischen porphyra , nicht phoinixos . Warum hießen dann »die Roten« wie der Phönix und nicht wie der Purpur?
Der Entdeckungsmythos des Purpurs
Die Entdeckung des Purpurs geschah einer altgriechischen Legende nach folgendermaßen: Ein Hund fraß am Strand eine Meeresschnecke. Seine Schnauze verfärbte sich daraufhin rot. Der Hirte hielt das für Blut und wollte es wegwischen, sah aber, dass es eine Farbe war. Sie musste von der Schnecke stammen, die daraufhin näher untersucht wurde. So entdeckten die Phönizier das Geheimnis des Purpurs, das sie für ihre Zwecke nutzten und sorgfältig hüteten. Die Geschichte klingt zu banal, um glaubhaft zu sein. Meeresschnecken wurden seit uralten Zeiten im Flachwasser gesucht und gegessen. Große
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