Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
alljährlichen Bruten, wie in den letzten Jahrzehnten in der Camargue, wächst der Bestand beträchtlich an. Den beiden Flamingoarten Afrikas und Eurasiens geht es gegenwärtig gut. Ihr Überleben ist nicht gefährdet, wie bei so vielen anderen Vogelarten. Ein Fünftel des Artenbestandes der Vögel der Erde steht in den Roten Listen der gefährdeten Arten. Die meisten Großvögel Afrikas sind seltener als die Flamingos. Auch in der Karibik sind ihre Bestände gesichert. Lediglich die beiden Flamingoarten der Andenhochfläche von Peru, Bolivien und Nordchile könnten durch Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und Verluste an Lebensraum in Gefahr geraten, weil sie keine Ausweichmöglichkeiten haben. Sie sind gleichsam Gefangene ihrer Hochfläche in den Anden, vermutlich seit es diese gibt. Ihren Verwandten in Afrika steht hingegen neben Südeuropa auch Asien offen. Davon später mehr. Wenden wir uns nun aber ihren menschlichen Namensvettern zu.
Das Rot der Phönizier
Die Namensähnlichkeit von Phönix und Phönizier ist so groß, dass es, so möchte man meinen, Zusammenhänge geben muss. Haben sie etwas miteinander zu tun? Formal auf jeden Fall. Der griechische Wortstamm ist für beide der gleiche und meint wohl auch das Gleiche. Das rätselhafte Volk der Phönizier siedelte rund ein Jahrtausend vor der Zeitenwende an den östlichen Küsten des Mittelmeeres. Ihre bedeutendsten Städte waren Byblos, Tyros und Sidon im heutigen Libanon. Sie gelten als ein semitisches Volk. Als ausgeprägte Seefahrer hielten sie sich bemerkenswert unabhängig vom Hinterland. Sie waren und blieben dem Meer zugewandt. Tyros war unter diesen Stadtstaaten in der Zeit zwischen 1000 und 770 v.Chr. die führende Macht. Hauptstadt eines geschlossenen Phönikerreichs wurde es dennoch nicht. Die Phönizier ähnelten darin den Griechen. Auch diesen ging die Eigenständigkeit der Städte, der Poleis , über alles. Die Phönizier dehnten ihre Handelsbeziehungen rasch über fast den gesamten Mittelmeerraum bis weit nach Westen aus. Sie kamen ziemlich sicher in den Atlantik und erreichten wahrscheinlich die Kanarischen Inseln. Ihre berühmteste Gründung am westlichen Mittelmeer war Karthago. Den Phöniziern verdanken wir die Urform unseres Alphabets.
Sie selbst benannten sich jeweils nach der Stadt, aus der sie kamen. Sidonier, wenn sie aus Sidon waren, Karthager als Bewohner ihres großen Stützpunktes Karthago. Bei den Römern hießen diese Punier. Doppeldeutig meinte diese Bezeichnung ›die Strafenden‹ wie auch die (von den Römern) zu Bestrafenden. »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam« bekräftigte bekanntlich der römische Senator Cato Censorius in seinen Reden 150 v.Chr. die Notwendigkeit der Vernichtung Karthagos vor dem Dritten und entscheidenden Punischen Krieg. Auch wenn dieser Ausspruch historisch nicht wirklich gut gesichert ist, so kann es doch keinen Zweifel geben, was die Römer für ein Ziel verfolgten. Sie wollten sich mit der Zerstörung Karthagos der gefährlichsten, auf zahlreiche Hafenfestungen verteilten Seemacht entledigen und dadurch ungehinderten Zugang zu den hinter Karthago liegenden »Kornkammern« bekommen. Dieser Befund wird bei der abschließenden Betrachtung des Phönix einen nicht unwesentlichen Baustein für das Mosaik abgeben, aus dem ein Bild entstehen soll. Und halten wir fest, dass die Römer die Karthager nicht Phönizier nannten.
Auch bei den Ägyptern ihrer Zeit hießen die Phönizier nicht so, wie die Griechen sie nannten, sondern ganz anders, nämlich Fenchu. Eine sprachliche Ähnlichkeit mit der altägyptischen Bezeichnung Benu für den Phönix drängt sich auf. Möglicherweise täuscht sie. Denn die zu Fenchu gehörige Hieroglyphe der Ägypter wird als »Baumfäller« interpretiert. Durchaus plausibel. Die Phönizier nutzten die Baumbestände im Libanon, die berühmten Zedern, zur Herstellung ihrer Schiffe und zum Handel mit Schiffsbauholz. Der griechischen Mythologie zufolge war der für die Phönizier den Namen gebende Phoinix ein Bruder von Europa und Stammvater dieser levantinischen Seefahrer. Mit der Bezeichnung für Rot verträgt sich diese Deutung durchaus, wie sich gleich zeigen wird. Herodot zufolge waren die Phönizier vom Persischen Golf (!) über Kanaan an die levantinische Küste gekommen. Sie errichteten dort ihre Städte, eroberten aber das Hinterland in keinem nennenswerten Umfang. Sie betätigten sich von ihren neuen, rasch florierenden Stützpunkten aus nur als
Weitere Kostenlose Bücher