Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Hagel übrig gelassen hatte. Derartige Wetterverhältnisse bedingen außergewöhnliche Luftdruckunterschiede. Aus ihnen gehen Stürme hervor; Staubstürme aus der Wüste hin zum Gebiet des plötzlich so niedrig gewordenen Luftdruckes. Die neunte Plage verdunkelte den Himmel. Drei Tage hielt die Finsternis an. Moses wusste wohl um die Hintergründe. Er hatte viele Jahre auf der Ostseite des Roten Meeres im Exil gelebt und dort ganz andere Möglichkeiten, über die Seefahrer, die hinunter zum Horn von Afrika und noch weiter gefahren waren, die größeren Zusammenhänge zu erfahren. Er konnte das Geschehen gleichsam vorhersagen, weil es mit zwangsläufiger Folge abläuft. Der (rote, die Sonne besonders verdunkelnde) Staub stammte vom Feinstmaterial der roten Nilflut, die ein Dreivierteljahr vorher den Anfang der Plagen gemacht hatte. Den Abschluss bildete die zehnte Plage mit dem Tod der »Erstgeburt«, also aller Neugeborenen, die Milch erhielten. Das deutet auf Vergiftungen hin, die sich in der Folge der monatelang so widrigen Verhältnisse eingestellt hatten. Die Milch von Ziegen und Rindern kann giftig werden, wenn sie Pflanzen verzehren, die Giftstoffe enthalten. In den Hungerzeiten früherer Jahrhunderte lösten in Mitteleuropa Vergiftungen mit Ackerschachtelhalm bei Rindern ein Verhalten aus, das an den Rinderwahn unserer Zeit erinnerte. Es kann sich aber bei der zehnten ägyptischen Plage auch um Botulismus-Vergiftungen gehandelt haben. Das Gift der unter sauerstofffreien Bedingungen vornehmlich im Flachwasser (an dem die Tiere trinken) sich entwickelnden Bakterien namens Clostridium botulinum gehört zu den stärksten Naturgiften überhaupt. Ohne die Plagen, die im 2. Buch Mose recht genau beschrieben worden sind, im Einzelnen näher diskutieren zu wollen, geht aus dem Geschehen zweifelsfrei hervor, dass außergewöhnliche Niederschläge im Quellgebiet des Nils die Verhältnisse und deren Abläufe zutreffend kennzeichnen.
Gingen diese über dem Hochland von Äthiopien nieder, aus dem der Blaue Nil und der Atbara ihr Wasser erhalten und sich beim heutigen Khartum, der Hauptstadt des Sudan, mit dem aus Ostafrika kommenden Weißen Nil vereinen, stimmen die Folgen mit den dortigen natürlichen Gegebenheiten überein. Anders verhält es sich mit Fluten, die vom Weißen Nil stammen. Dieser entspringt im Einzugsgebiet der großen Seen in Ostafrika. Hauptzubringer ist der Kagera, der in den Viktoriasee fließt. Auch der zweite große, der westlichere Zufluss kommt aus großen Seen, dem Albert- und dem Edwardsee am Ruwenzori-Gebirge. Nachdem sich beide zum »Bergnil« vereint haben, durchströmen die Wassermassen das größte afrikanische Sumpfgebiet, den Sudd. Dieser »Wald aus Papyrus-Röhricht« bremst und reinigt das Wasser. Als Weißer Nil strömt es daraus nordwärts. Er bringt die »guten Wasser«, die lang anhalten und keine bedrohlichen Überschwemmungen verursachen. Die normale Nilflut hingegen stammt hauptsächlich vom Blauen Nil. Geht der Weiße Nil in eine Phase stark erhöhter Wasserführung über, hat es in Ostafrika extrem viel geregnet. Die Flamingos und auch die Kronenkraniche treibt das Zuviel an Frischwasser hinaus in die trockeneren Regionen. Somit beziehen sich die biblischen Plagen auf den Blauen und nicht auf den Weißen Nil. Dessen Vorboten waren zu begrüßen. Verderben brachten sie nicht, im Gegenteil.
Feng Huang, der chinesische Phönix
Ähnlich wie für die Ägypter, die einen Zusammenhang zwischen dem Kommen des Phönix und den Nilfluten erkannten, konnten die Flammenvögel für die Menschen am Indus und an den beiden großen Strömen in China Bedeutung erlangen. Das Phönix-Phänomen greift folgerichtig an der Küste Arabiens vorbei hinüber zur Indusmündung mit den Salzseen des Rann of Kutch und über die zentralasiatischen (Salz)Seen, von denen mehrere längst völlig ausgetrocknet und von der Gobi bedeckt worden sind, bis nach China hinein. Dort verschmolz die Flamingo-Vorlage aber mit dem Pfau zu einem Mischgebilde, dessen Zugehörigkeit sich nicht mehr direkt bestimmen lässt. Der Feng Huang enthält im ersten Teil des Namens (Feng) vielleicht noch einen Anklang an das griechische phoen . Und dass er von weit her kam, dieser besondere Vogel, gilt auch für den chinesischen Phönix. Im Aussehen hat er sich allerdings recht weit vom Original entfernt, sofern es tatsächlich einen Zusammenhang gegeben hatte. Neueren Darstellungen zufolge, zum Beispiel in Gestalt der Bronzefigur des
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