Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
zunächst für die Wiedergeburt, auch für den Erstgeborenen, in dem sich der Vater wiedergeboren sieht, so mutierte er zunehmend unter dem starken Einfluss der Verbindung mit den Flamingos zum Feuervogel und Künder guter Zeiten am Nil. Weiter ostwärts, im persisch-vorderindischen Raum, ergaben die alten Versionen des Benu keinen Sinn. Das Flamingohafte verstärkte sich, wie auch bei den Griechen der hellenischen Zeit. Aus Benu war Phoinix geworden. Als solcher erreichte er über Zentralasien China. Der Südweg war und ist den Flamingos verschlossen, weil es im Bereich des tropischen Regenwaldes und der Monsunwälder Südostasiens keine Salzseen oder -lagunen gibt. Wohl aber bildet sich quer durch Zentralasien zu Zeiten entsprechender Witterungsverhältnisse eine Reihe von ausgedehnten, flachen Salzgewässern. Sie erstreckt sich vom anatolischen Hochland über die Niederungen am Kaspischen Meer zum Aral- und Balaschsee, den Alakol und den Ubsu-Nur in die Mongolei und die Gobi bis in die Nähe von Peking. Mehrere Salzseen, die in früheren Jahrhunderten noch existierten, sind inzwischen verschwunden. Das Streifgebiet der Rosaflamingos reichte im 20. Jahrhundert nur noch bis zum Tengissee westlich von Karaganda in Kasachstan und in Südasien bis zum Rann of Kutch östlich von Karatschi.
Die Wiederentdeckung des Klassischen Altertums in der europäischen Renaissance mythologisierte den Phönix erst so richtig. Er wurde zur Allegorie Christi für Reinigung, Erneuerung und Wiedergeburt. So wie die Menschen durch das Fegefeuer geläutert glorreich auferstehen können, so hatte sich einst der Phönix aus der Asche erhoben.
Profanes folgte. Eine aufblühende Wüstenstadt in Arizona gab sich bei der Gründung am 4. Mai 1886 den Namen Phoenix. Bezeichnenderweise liegt sie in der Sonora-Wüste am Salt River. Palmen, wie die aus dem vorderasiatisch-nordafrikanischen Wüstensand aufstrebenden, die Oasen anzeigenden und für die Ernährung der Menschen so wichtigen Dattelpalmen, erhielten gemäß alter griechischer Tradition den wissenschaftlichen Gattungsnamen Phoenix . Sogar kleine Vögelchen wurden mit dem Namen des Phönix bedacht: Phoenicurus , unsere Rotschwänzchen.
Das Christentum machte im Mittelalter den Phönix zum Mythos. Ähnlich erging es anderen Fabelwesen. Unstimmigkeiten bei der Übertragung alter Namen führten zu Verwechslungen und Missdeutungen. Unser Eisvogel ist so ein »Fall«. Unpassender könnte er gar nicht heißen.
Eisvogel, Schwan und andere Deutungen
Alcedo atthis , der Eisvogel
Wer über seinen Namen nachgedacht hat, wird sich zwangsläufig fragen, warum er bloß so heißt, der Eisvogel. Eistaucher und Eisenten kommen aus dem Hohen Norden, wenn der Winter sehr kalt wird. Sie mit Eis in Verbindung zu bringen ergibt einen Sinn, vor allem für die Bevölkerung, die Außergewöhnliches mit besonderen Umständen in Zusammenhang zu bringen versucht. Schneegänse kommen, wenn auch nicht immer, so doch oft genug mit starken Schneefällen. Der Volksmund nennt sie so, obgleich sie eigentlich als Saatgänse und Blässgänse verzeichnet sind. Dass es in Nordamerika tatsächlich Schneegänse gibt, weiße Gänse mit schwarzen Flügelspitzen, verursacht keine größere Verwirrung. Aber Eisvogel! Was soll diese Bezeichnung ausdrücken?
Betrachten wir den Vogel genauer, wird sein Name noch unverständlicher.
Der Eisvogel ist ein »bunter Vogel«. Seine Bauchseite ist von der weißen Kehle bis zum Ende des kurzen Schwanzes rostrot, die Rückenseite einschließlich der Oberseite der Flügel dagegen blau- bis türkisgrün. Der kräftige, spitze Schnabel ist etwa so lang wie der Kopf und wirkt daher fast zu groß für den kleinen Vogel. Mit seinen 16 bis 17 Zentimetern Körperlänge erreicht er nicht einmal die Größe eines Stars. Von den kurzen roten Beinen und Füßen sieht man wenig, wenn er sitzt, und nichts, wenn er pfeilschnell wie ein blauer Blitz mit schrillem Pfiff vorüberfliegt. Dann wirkt er fast kugelförmig. Vom Schnabelansatz erstreckt sich ein schmales blaugrünes Band zum Rücken. Es beginnt am Unterschnabel und grenzt hinter dem Auge zwei Flecken, einen rostroten und einen weißen, von der leicht gewellt erscheinenden, türkisfarbenen Kopfkappe ab. Jungvögel unterscheiden sich mit deutlich matterem Gefieder von den alten, sehen diesen aber recht ähnlich. Männchen und Weibchen unterscheiden sich äußerlich nur in einer Kleinigkeit: Der Unterschnabel des Männchens ist, abgesehen von der
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