Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
der Küsten leicht dorthin gelangen. Sie müssen dazu, vom Rift Valley kommend, nur über die Danakil-Senke fliegen und auf der gegenüberliegenden Seite der Südküste der Arabischen Halbinsel folgen. Diese leitet sie direkt über den Persischen Golf zum östlichen Rand des Arabischen Meeres. Wenden sie sich am Roten Meer aber rechtwinklig zum Nordostpassat nordwestwärts, führt sie der Flug zum Nildelta. Auch für die Kronenkraniche wäre der Weg durch das Rift Valley die geeignete Route, aber als Landvögel würden sie größere Flugstrecken übers Meer meiden. Sie können vom äthiopischen Hochland den Blauen Nil zum Niltal folgen oder über das große Sumpfgebiet, den Sudd, auch direkt von Süden her den Weißen Nil entlangfliegen. Außergewöhnlich starke Niederschläge im tropischen Ostafrika wären für beide ansonsten miteinander nicht verbundenen Vogelarten der geeignete Auslöser für die außerordentlich weiten Wanderungen. Wie die starken Niederschläge zustande kommen, dafür bietet das in unserer Zeit entdeckte Phänomen des El Niño eine sehr passende Erklärung.
Ein besonders starker El Niño im Pazifik verursacht von Nordaustralien bis Borneo große Trockenheit. In Ostafrika aber kommt es zu gewaltigen Niederschlägen mit Überschwemmungen. Salzseen süßen aus. Savannen und flache Sümpfe, die Lebensräume der Kronenkraniche, werden überflutet. Der Nil führt nach solchen Regenfällen für ungewöhnlich lange Zeit mehr Wasser als in normalen Jahren. Da das riesige Sumpfgebiet des Sudd im Süden des Sudan, aus dem der Weiße Nil kommt, den Überfluss an Wasser speichert, verursachen die außergewöhnlichen Niederschläge in Ostafrika keine zerstörerischen Überschwemmungen in Ägypten. Sie garantieren vielmehr besonders gute Ernten durch viel Wasser. Das gemeinsame Auftreten der Flammenvögel und des geheimnisvollen Benu sollten die Alten Ägypter daher begrüßt und als besonderes Geschenk (des Himmels) betrachtet haben. Wie lange es dauern würde bis zur Wiederkehr des Benu/Phönix, das wussten sie nicht. Sie konnten es auch nicht berechnen, da die Zeitabstände zur direkten Beobachtung viel zu lang waren. Daher legten sie ihr astronomisches Jahr zugrunde und kamen so auf Hunderte von Jahren. Streichen wir bei den altägyptischen Zahlenangaben eine Null, fügen sich die Angaben in den Rahmen großer El-Niño-Ereignisse. Sehr starke gibt es gegenwärtig in Abständen von etwa 15 Jahren; Super-El-Niños durch Überlagerung der drei- bis siebenjährigen Grundzyklen nach 45 bis 105 Jahren. Genauere Forschungen, etwa an Korallen im Roten Meer, werden zeigen, ob es stark ausgeprägte Folgen solcher langfristiger Schwankungen der Niederschläge gegeben hat. So kam es in den 1970er Jahren zur großen Sahel-Dürre, die rund 20 Jahre andauerte, bis es wieder reichlicher regnete. Zwischen dem Gipfel der Niederschläge in den frühen 1950er Jahren und dem beginnenden Ende der Dürre vor der Jahrtausendwende liegen rund 45 Jahre. Nach Mondzyklen gerechnet, kommen die »Jahrhunderte« zustande, die bis zur Wiederkehr des Benu verstrichen sein sollen. Zwischen den großen El-Niño-Ereignissen stellen sich immer wieder Dürreperioden ein, die viel zu wenig Niederschlag bringen. Und da es dauert, bis die Wassermassen aus Ostafrika nilabwärts bis Unterägypten gelangen, durften die Vögel als sicheres Zeichen dafür gelten, dass besondere Fluten unterwegs waren. Folglich hatten die Alten Ägypter sehr wohl ihre Gründe, den Benu/Phönix besonders zu schätzen und ihn in ihre Mythologie einzubauen.
Die anderen von den Winterregen abhängigen Regionen rund um das Mittelmeer waren davon nicht annähernd so betroffen. Die Griechen, die mit den Ägyptern in regem Austausch standen, übernahmen den Mythos und versuchten, ihn auf ihre Weise plausibel darzustellen. Für die Römer bedeutete er nichts. Flamingozungen ließ man sich schmecken, so diese Rarität zu erhalten war. Falls es Brutkolonien der Flamingos an den Küstenlagunen gegeben haben sollte, interessierten diese allenfalls, um an die begehrten Leckerbissen zu kommen. Schon über 3000 Jahre v.Chr. hatten steinzeitliche Menschen in Höhlen an der Küste Iberiens Flamingos gezeichnet; ganz ähnlich wie die San (Buschmänner) das in den Randgebieten der Namib an Felsen taten. Die San kannten die Flamingos von der Küste jenseits der Wüste. Doch dort wie am Mittelmeer taugen die klimatischen Verhältnisse nicht dazu, aus den Ansammlungen nistender
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