Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
stets dunklen Spitze, bläulichschwarz, beim Weibchen aber rötlich. Da die Eisvögel bei der Balz einander nahe genug kommen, mag dieser kleine Unterschied für sie Bedeutung haben. Wichtiger ist die Übereinstimmung im Gefieder. Sie signalisiert beiden Geschlechtern einfach »Artgenosse«, der vertrieben werden muss. Denn außerhalb der Brutzeit sind die Eisvögel Einzelgänger, die ihr Nahrungsrevier gegen alle Artgenossen verteidigen.
Eisvögel leben an größeren Bächen und Flüssen mit steilen Ufern, an Teichen und Buchten von Seen und Stauseen. Klare, kleinfischreiche Binnengewässer sind ihr Hauptlebensraum. In geringer Zahl suchen sie im Herbst und Winter auch Meeresküsten auf, sofern diese für die Jagd nach Kleinfischen geeignet sind. Unser europäischer Eisvogel kommt von Irland, England, dem äußersten Süden Skandinaviens und den baltischen Staaten bis zu den Flüssen und Küsten Nordwestafrikas und des Vorderen Orients vor. An dieses westliche, ostwärts bis Kasachstan und an das Kaspische Meer reichende Vorkommen schließt sich ein noch viel größeres Areal in Asien an. Es erstreckt sich vom Zweistromland über Indien und Teile Zentralasiens bis Nordostchina und Japan. Ableger davon gibt es in der indonesischen Inselwelt. Ein drittes Großvorkommen reicht vom Südrand der Sahara und vom Hochland Äthiopiens bis zum Kap. Nur die Trockengebiete der Kalahari und der Namib sind mangels geeigneter Gewässer vom Eisvogel nicht besiedelt. Der Vogelzwerg hat damit ein eurasiatisch-afrikanisches Artareal. Es gehört zu den »großen Arealen« in der Vogelwelt. Nirgends aber ist der Eisvogel häufig. Seine Lebensansprüche bedingen seine Seltenheit. Für ihn richtig günstige Gewässer gibt es nur stellen- und zeitweise. Denn das Wasser muss klar sein, weil er auf Sicht fischt, und sehr reich an Kleinfischen, weil seine Flug- und Jagdweise energetisch sehr aufwendig ist. Die Fischchen erbeutet er nämlich meistens aus dem Rüttelflug heraus. Mehr oder weniger senkrecht stürzt er sich ins Wasser auf den Fisch, den er angepeilt hat. Mindestens jeder zweite Fangversuch missglückt. Oft klappen nur wenige Tauchstöße, weil die Sicht nicht gut genug ist. Stundenlang harren die Eisvögel daher auf ihren Sitzwarten am Ufer oder über dem Wasser aus, wenn Kleinfische rar sind. Häufig müssen sie den Platz wechseln, um Beute zu machen. Die Kleinfische verstehen es, so in lockeren Schwärmen zusammenzuhalten, dass es sehr schwer fällt, einen von ihnen ins Visier zu nehmen. Fischchen von Kleinfingerlänge wären die ideale Beute für den Eisvogel. Ihre Häufigkeit wechselt stark, weil es keineswegs in allen Jahren gleich gute Bedingungen für die Fortpflanzung der Fische gibt. Nur wenige Arten, wie die Elritzen ( Phoxinus phoxinus ) und die auch Ukelei genannten Lauben ( Alburnus alburnus ) treten in größerer Zahl gemeinsam auf und das in für den Eisvogel günstigen Körpergrößen. Bei diesen beiden Arten schwankt sie zwischen 8 und 15 Zentimetern. Doch auch Jungfische zahlreicher anderer Fischarten wachsen durch diese, für den Eisvogel ideale Größenklasse. Verlief die Fortpflanzung der Fische gut, gibt es Massen von Nachwuchs und eine gute Zeit für den Eisvogel. Dann gleicht er mit drei Bruten in einem Sommerhalbjahr die Verluste ungünstiger Zeiten rasch wieder aus – sofern geeignete Brutplätze vorhanden sind.
Der Eisvogel nistet in selbst gegrabenen Röhren, die am Ende zu einer Bruthöhle erweitert sind und bis über einen Meter tief in den lehmigen Uferboden reichen. Steilufer mit Abbrüchen, in denen sich Partien von grabfähigem, aber hinreichend festem Material befinden, entstehen von Natur aus an Prallhängen. An begradigten und regulierten Bächen und Flüssen gibt es sie nicht mehr. Unseren Eisvogel trafen in neuerer Zeit zwei große Veränderungen an den Gewässern besonders hart: schwindende Kleinfischbestände und Mangel an Brutplätzen. Gartenteiche, in denen es vor Kleinfischen wimmelt, befriedigen zwar den Appetit des Eisvogels, bieten ihm aber keine Möglichkeit zum Brüten. Der an sich schon nicht häufig vorkommende Eisvogel wurde deshalb im 20. Jahrhundert weithin selten und zum Symbolvogel des Vogelschutzes. Von Zeit zu Zeit versetzt ihm zudem die Natur einen besonderen Schlag. In sehr kalten Wintern frieren die Kleingewässer zu. Offen bleiben, wenn überhaupt, nur die großen Flüsse an Stellen, an denen ihr Wasser schnell genug strömt. Die Ufer der Seen und Stauseen, oft
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