Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
Vom Netzwerk:
bedeutungsvoll gewesen sein, dass der Mythos vom Phönix entstand, im westlichen Mittelmeerraum aber nicht?
    Ich will nun einen Erklärungsversuch anbieten, der die Unstimmigkeiten ausräumt, Verbindungen bis nach China herstellt und einen weiteren Vogel mit in die Betrachtung einbezieht, der bislang offenbar übersehen worden ist. Kurz zusammengefasst lautet die neue Deutung wie folgt:
    Die Alten Ägypter kannten den (gewöhnlichen) Flamingo, weil dieser im Nildelta vorkam. Es gab eine Hieroglyphe für ihn, die (purpur)rot bedeutete. Mit Benu meinten die Alten Ägypter ihn also vielleicht doch nicht so direkt, wie es zunächst scheint, sondern einen reiherartigen Großvogel aus Afrika, den es am Nil nicht gab. Die Beschreibungen des Benu passen am besten auf den Kronenkranich ( Balearica pavonina ). Dieser flog vom äthiopischen Hochland nach Unterägypten, wenn es im innertropischen Raum Afrikas extreme Niederschläge gegeben hatte. Mit ihm kamen die feuerroten Zwergflamingos und brüteten auf dafür geeigneten Salzlagunen in den Randbereichen des Nildeltas, wo sie zur Brutzeit die Hitze flammenartig »brennen« ließ. Sie hinterließen »ihre Asche« in Form der Schlammnester mit vereinzelten unbefruchteten Eiern. Massen von Zwergflamingos flogen zu Zeiten weiter bis an die Gestade des Arabischen Meeres am Persischen Golf und zu den Salzpfannen des Rann of Kutch an der Küste zwischen dem heutigen Pakistan und Indien. Sie und/oder Rosaflamingos, die kältere Nächte ertragen, suchten sogar zentralasiatische und westchinesische Salzseen auf, um dort zu brüten. Der Phönix und die Flamingos wurden so zu Zeichen für ganz besondere, sich selten einstellende Witterungsverhältnisse. Für Kulturen entlang von Flussoasen waren sie von größter Bedeutung. Was die Flut am unteren (ägyptischen) Nil ist, das sind in Süd- und Ostasien die Wasser des Indus und der beiden großen Flüsse Chinas, des Huáng Hé/Hwangho (Gelber Fluss) und des Jangtsekiang. Der Mythos des Phönix ist mit diesen besonderen Witterungskonstellationen und ihren Folgen für die Landwirtschaft verbunden.
    Betrachten wir diese neue Deutung nun etwas genauer. Mehrfach ist Benu altägyptisch reiherartig dargestellt worden. Goldenes und auch blaues Gefieder wurden betont. Er trat »einzeln« oder als Paar auf. Er war groß, aber nicht überdimensional. Sein Aussehen war »königlich«. Und er kam sehr selten. Diese Angaben passen zum Kronenkranich, einem seltenen Brutvogel der Sumpfgebiete im Hochland von Äthiopien und weiter südwärts im tropischen Afrika. Der strohfarbene, »goldgelbe« Federbusch auf dem oberen Hinterkopf verleiht ihm ein »königliches« Aussehen. Der Schnabel ist kurz, die Wangen sind weiß, und ein roter Kehllappen setzt an der Kehle an. Ein Großteil des Gefieders glänzt blaugrau. Goldgelbe Schmuckfedern überdecken die äußeren Teile des großen weißen Flügelfeldes. Zum Schwanz hin werden sie rotbraun begrenzt. Das Schreiten der Kronenkraniche unterstützt den Eindruck von Würde. Vor allem im Flug geben sie laut klingende Rufe von sich. Sie leben paarweise in flachgründigen Sümpfen und auf offenen Flächen. Damit wären sie, falls sie bis Unterägypten geflogen sind, am ehesten im Delta zu sehen gewesen. Flamingos kannten die Ägypter. Aber auf altägyptischen Wandbildern wurden sie nur selten dargestellt. Darauf wies Joachim Boessneck, einer der besten Kenner der Tierwelt des Alten Ägyptens, nachdrücklich hin: »Flamingos, Phoenicopterus ruber roseus , fehlen in den Fang- und Vorführszenen und kommen als Hieroglyphe selten vor. Ihr Verbreitungsgebiet an den Küstenseen des Deltas liegt außerhalb des eigentlichen Zentrums, in dem die Wandbildszenen geschaffen wurden (…) Knochenabfälle vom Flamingo gibt es in größerer Zahl von Tell el-Dab’a« (aus der Zeit von 1800 bis 1500 v.Chr.). Eine Unterscheidung der beiden Flamingoarten ist nirgends ersichtlich. Die zugehörige Hieroglyphe passt jedoch zweifellos viel besser zum großen Rosaflamingo als zum grazileren Zwergflamingo. Dieser hätte durchaus gelegentlich zum Brüten ins Nildelta und noch weiter fliegen können, wenn die Salzseen im ostafrikanischen Grabenbruch durch außergewöhnlich starke Niederschläge zu stark ausgesüßt worden waren.
    Dafür gibt es einen ganz konkreten Befund aus unserer Zeit: Zwergflamingos suchen tatsächlich gelegentlich den Rann of Kutch östlich der pakistanischen Stadt Karatschi in Indien auf. Sie können im Flug entlang

Weitere Kostenlose Bücher