Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Bereich, auf dem der Flamingo brütet oder das Junge sitzt, auf angenehme 30 bis 35 Grad herunter. Dennoch bleiben eine entsprechend reichhaltige Nahrung und regelmäßige Versorgung der Jungen mit Wasser unerlässlich. Dieses ist in der blutartigen Kropfmilch enthalten, die beide Eltern dem Jungvogel bringen. Als scheinbares »Tränken der Jungen mit dem eigenen Blut« taucht es im Mittelalter in Zusammenhang mit dem Pelikan auf. Ich komme darauf zurück.
Ihre Schlammnester errichten die Flamingos auf flachen Inseln möglichst fernab vom Ufer. Dafür gibt es gewichtige Gründe. Der erste hängt mit der Natur der salzigen Flachgewässer zusammen, der zweite mit dem Schutzbedürfnis der wehrlosen Vögel. Nur ganz bestimmte Stellen sind für die Anlage der Nester geeignet. Der Schlamm muss dafür mörtelartig zäh sein. Die Flamingos ziehen diesen mit dem Schnabel zu sich heran und häufen ihn auf, bis das kegelförmige Gebilde entsteht und im günstigsten Fall von einem Wassergraben mit etwa 20 Zentimeter Tiefe umgeben ist. Das Schlammnest wird so hoch gemacht, dass es bei stärkerem Wind, der das Wasser verschiebt, nicht mehr überflutet wird. In die Mulde, die oben in den Kegel gedrückt wird, legt das Weibchen ein einziges Ei. Beide Partner bebrüten es rund vier Wochen lang abwechselnd. Das Ei ist recht groß. Beim Rosaflamingo wiegt es 140, beim Zwergflamingo 115 Gramm. Das Junge wird nach dem Schlüpfen alle 45 bis 90 Minuten, später einmal am Tag und insgesamt rund zehn Wochen lang gefüttert. Es benötigt bis zu 60 Gramm Nahrung pro Tag, erheblich mehr aber an Wasser. Im Alter von etwa sechs Wochen fangen die jungen, noch grau gefiederten Flamingos an, im Flachwasser selbständig nach Nahrung zu suchen. Sie sind mit ihren stumpfen Schnäbeln und den langen dünnen Beinen Feinden gegenüber völlig wehrlos. Wie die Erwachsenen auch. Deshalb wählen die Flamingos nur solche Flachgewässer zur Anlage ihrer Brutkolonien, an die möglichst keine Feinde hingelangen. Je länger der Weg über zähen, heißen Schlick, desto sicherer sind die Brutkolonien vor Bodenfeinden, wie Schakalen oder Füchsen. Schreiseeadler und andere große Greifvögel versuchen zwar immer wieder, die Brutkolonien zu erreichen und Beute zu machen. Vielleicht hält aber die wabernde, die Konturen verzerrende oder ganz auflösende Hitze auch Luftfeinde fern. Bedrohung durch Feinde ist auf jeden Fall der zweite entscheidende Faktor für die Wahl des Nistplatzes. Ein weiterer ergibt sich von selbst aus der Masse der Vögel. Je mehr gleichzeitig brüten, desto geringer wird das Risiko für den einzelnen Flamingo, einem Adler zum Opfer zu fallen. Die kleinen Arten von Flamingos brüten deshalb fast nur gleichzeitig in Großkolonien. Der große Rosaflamingo probiert es, wie sein südamerikanisches Gegenstück, der Chileflamingo, mitunter auch in kleineren Gruppen von bis zu 50 Vögeln, zum Beispiel auf so entlegenen, feindfreien Inseln, wie den Galapagos-Inseln im Pazifik. Was an Besonderheiten dem Phönix zugeschrieben worden war, ist also in der Lebensweise der Flamingos enthalten.
Die Unstetigkeit der Flamingos
Flamingos brüten gegenwärtig so gut wie alljährlich in der Camargue in Südfrankreich. Seit 1914 wird auf sie geachtet und ihr Brüten genau registriert. Bis 1969 nisteten sie unregelmäßig; durchschnittlich in jedem zweiten Jahr. Die künstlichen Salinen und der Schutz vor Störungen kamen den Flamingos zugute. Salinen bieten konstante Verhältnisse, die es so von Natur aus nicht gäbe. Starke Regenfälle füllen und verdünnen die Lagunen, anhaltende Trockenperioden bringen sie zum Verschwinden oder lassen die Salzkonzentrationen zu hoch ansteigen. Überschwemmungen können ganz plötzlich die ansonsten günstigen Flachseen im Landesinnern für längere Zeit aussüßen. Es reichen geringfügige Schwankungen des Wasserstandes, um einen Salzsee oder eine Lagune zum Brüten geeignet oder ungeeignet werden zu lassen. Die Flamingos sind darauf eingestellt. Es gibt global nur zwei Regionen, in denen dauerhaft ziemlich günstige Verhältnisse herrschen. Es sind dies Salare, Salzseen, auf der Hochfläche der Anden in Südperu, Bolivien und Nordchile sowie mehrere Seen im Großen Afrikanischen Grabenbruch, dem Rift Valley. Die Salzseen im Rift Valley sind für die eurasiatischen und afrikanischen Flamingos mit Abstand die wichtigsten. Bis über eine Million Zwergflamingos und Tausende von Rosaflamingos sammeln sich am berühmtesten
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