Einkehr zum toedlichen Frieden
rühre mich nicht.
»Schau, Gudrun, das Köpfchen!«, jubele ich begeistert. Ich sehe
überhaupt kein Blut, nur diese seltsame Folie, in die auch der auf den Beinen
ruhende Kalbskopf eingewickelt ist. Kalbskopf … Nein, ganz ehrlich, beim
Anblick dieses herzigen Gesichtchens kann nicht einmal ich an Sülze oder
Kochtopf denken.
»Ist das süß!«
»Katja!«
»Warte, warte«, sage ich atemlos und beuge mich ganz nah heran.
Platsch. Ich springe zur Seite. Das ganze Kalb ist mit einem Mal
herausgerutscht und plumpst auf das Gras. Aus dem Körper der Kuh dringt
vibrierendes Brummen. Der Schwanz schlägt mir ins Gesicht.
»Die Schubkarre!«
Die Kuh erhebt sich schwerfällig.
»Ojottojottojott«, schreie ich, »pass bloß auf, dass sie das Kleine
nicht zertritt!«
»Katja!«
»Ich geh ja schon!«
Ich renne über die Weide zum Haus, um die Schubkarre zu holen, und
eile, sie ungeschickt über den holprigen Grasboden hinter mir herziehend,
zurück. Die Kuh leckt gerade die Folie von ihrem Nachwuchs, der nicht mal eine
Viertelstunde nach der Geburt bereits versucht, auf eigenen Beinen zu stehen.
»Das Lecken regt die Atmung an«, erklärt Gudrun. »Und jetzt teilen
wir uns die Arbeit.«
Ich sehe sie fragend an.
»Du kannst das Kälbchen schon mal in die Schubkarre heben.«
Das täte ich liebend gern, wenn neben ihm nicht ein so gewichtiges
Argument stehen würde. Ich wage es kaum, das Neugeborene anzusehen. Aus Angst,
die Kuh könne fälschlicherweise das Wort Kalbsschnitzel in meinem Blick lesen
und Hackfleisch aus mir machen.
Ich teile Gudrun beschämt meine Bedenken mit.
»Dann warte eben, bis der Hein kommt. Der wird mir helfen, die
Mutter in den Stall zu treiben. Das ist Schwerarbeit.«
»Was, und das Kleine soll hierbleiben?«
»Das kommt in eine Box.«
Ungläubig starre ich sie an. »Du willst Mutter und Kind voneinander
trennen?«
»Je eher desto besser«, erwidert sie gleichmütig. »Bevor sie sich
aneinander gewöhnt haben.«
»Und das Kleine in eine Box stecken?!«
»Das ist ein ganz gemütliches Ställchen.«
»Schau, es steht schon fast!« Entzückt beobachte ich die Versuche
des staksigen Geschöpfs, sich auf allen Vieren zu halten, während die Kuh es
weiter ableckt und leicht anstupst.
»Ein prächtiger, gesunder kleiner Stier«, sagt Gudrun nickend. »Für
den kriegen wir gutes Geld. Und was für ein schönes Fell! Das werde ich auf
jeden Fall behalten.«
Sie liest den Abscheu in meinen Augen.
»Ah, ich versteh«, sagt sie lachend. »Bei der Katja kommt jetzt kein
zartes Kalbsfleisch mehr auf den Teller.«
Nun, es gibt ja noch andere Tiere, die man lecker zubereiten kann.
Tiere, die in handliche Stücke verpackt aus dem Laden kommen.
Aber Gudrun betrachte ich ab jetzt mit ganz anderen Augen.
Vor allem, als ich später das klagende Geschrei der Kuh höre, die
dieses herzlose Landvolk von der Seite ihres Säuglings gerissen hat. Und der
soll jetzt die erste Nacht seines Lebens ganz allein in einer Art Schachtel
verbringen! Zu Gudruns Erleichterung hat Hein seinen Freund auf die Weide
geschickt.
»Der kann wenigstens anpacken«, sagt sie befriedigt, als sie Jupp
herannahen sieht. Und Hein kann delegieren, denke ich, mir redlich Mühe gebend,
Jupp freundlich zu begrüßen. Er führt ja – wie offensichtlich wir alle – nur
Gudruns Anordnung aus.
Mit dieser Frau will ich keine einzige Nacht mehr unter einem Dach
verbringen. Sie ist eine Rachegöttin, die Nemesis der Kehr. Jetzt traue ich ihr
alles zu. Das Weichei Gerd zu erschlagen, weil der nach einem Wort ihres Vaters
den Schwanz eingezogen hat, den lästigen alten Vater mit einem tödlichen Schlag
im Wolfgangsee zu versenken und den einbeinigen Alf nach einem Streit über
Kälberaufzucht ins Jenseits zu schicken.
Mörderin, denke ich, als sie das Kälbchen in den Schubkarren hebt
und dann mit Jupp die widerstrebende Mutter vor sich hertreibt.
Mir obliegt die Aufgabe, das Kälbchen im Karren zu ziehen. Nur ganz
flüchtig geht mir der Gedanke durch den Kopf, das Kleine meinen Nachbarn
abzukaufen und selbst aufzuziehen. Aber es würde ja nicht so niedlich bleiben,
sondern irgendwann zu einem mächtigen Stier heranreifen, dem ich mich in keinem
roten Kleid würde nähern können. Ich würde den Zaun hinter dem Haus reparieren
lassen müssen, damit er nicht ausbrach und ein niedliches kleines Mädchen wie
Nicole so auf die Hörner nahm, wie es die Stiere von Pamplona mit den dämlichen
Touristen tun. Stiere sind noch gefährlicher
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