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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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als Kühe oder halbe
Staffordshire-Terrier.
    Die Box erweist sich als ein winziger Käfig vor dem Stall, den eine
Art Hundehütte fast gänzlich ausfüllt. Darin kann sich das Kälbchen bei Regen
und Kälte zurückziehen. Ungefähr zehn solcher Gefängnisse sind seitlich des
Stalls aufgereiht, und die Hälfte von ihnen mit süßen kleinen Kälbchen
unterschiedlichster Zeichnung belegt.
    »Lass es an deinem Finger saugen«, fordert mich Gudrun auf, als sie
das Kälbchen vor einer leeren Box absetzt, »damit es nachher gleich die Milch
aufnehmen kann.«
    »Wenigstens das ist gut«, sage ich, während ich dem Kalb sofort
einen Finger ins Maul stecke, »dass die arme Mutter zumindest zum Stillen ihr
Kind wieder bei sich hat.«
    Gudrun antwortet nicht. Sie verschwindet im Stall und erscheint
wenig später mit einem Blecheimer, den sie vor die Box stellt.
    »Saugt er schon?«, fragt sie.
    »Wie ein Weltmeister«, antworte ich.
    »Dann kann er jetzt saufen«, sagt sie, schiebt das Kalb in die Box,
macht sie zu, hängt den Eimer in einen außen am Käfig befestigten Metallring
und drückt das Köpfchen des Neugeborenen rücksichtslos durch die an dieser
Stelle etwas auseinandergebogenen Gitterstäbe.
    »Hat Alf das auch immer so gemacht?«, frage ich misstrauisch.
    »Ja, natürlich. Nur hat der auch noch jedes neue Kalb fotografiert.
Das war sein Hobby. Wir können uns das ersparen.«
    »Ja, ein Foto!«, rufe ich begeistert. »Bitte lass uns eins machen!«
    Sie seufzt.
    »Na gut. Die Kälbchen-Kamera steht auf der Kommode im Flur. Dann hol
sie eben.«
    Trotz des Einbruchs in der Nachbarschaft sieht man bei Mertes
offensichtlich keinen Grund, die Haustür zu verschließen. Als auf mein Klopfen
niemand öffnet, trete ich einfach ein.
    Die antiquarische Agfa Clack mit dem altmodischen Blitzaufsatz ist
mir schon bei meinem ersten Besuch aufgefallen. Mit genau so einem Apparat habe
ich während meiner Volontärszeit die Bilder für meine Reportagen geschossen –
bis mir die Bildredaktion feierlich eine gelbe Armbinde mit drei schwarzen
Punkten überreichte. Meinem Argument, die Bewegungsunschärfe beim Berliner
Funkturm sei auf die natürliche Schwankung des Bauwerks zurückzuführen, konnte
der Ressortleiter nicht folgen. Er erteilte mir Fotoverbot und stellte mir bei
künftigen Reportagen einen Fachmann zur Seite.
    Aber von meinem Kälbchen kann ich so viele Aufnahmen machen, wie ich
will. Sie sollen ja nicht veröffentlicht werden, sondern mich nur an die erste
Geburt erinnern, die ich erlebt habe. Ein Foto würde schon etwas werden. Ich
hebe die Kamera hoch.
    Und lasse sie gleich wieder sinken.
    »Kein Film drin«, sage ich enttäuscht, nach einem Blick auf das
kleine transparente Fenster. Ich öffne die Klappe.
    »Muss sein«, widerspricht Gudrun. »Der Alf hat vor etwa zwei Wochen
erst einen neuen eingelegt. In der Zeit sind höchstens vier Kälbchen geboren
worden.«
    Ich halte ihr das leere Gehäuse als Beweis hin.
    »Vielleicht hat er damit Familienfotos oder so etwas gemacht«,
schlage ich vor.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Dafür hat er einen modernen Apparat. Das alte Ding war eine reine
Kälbchenkamera. Da hat er Wert drauf gelegt. War sein Hobby. Seltsam ist das,
ganz seltsam.«
    Als ich später vor meinem Haus in meiner Handtasche nach
dem neuen Schlüssel suche, stoße ich auf die Filmrolle meines Bruders, die er
an einem so ungewöhnlichen Ort wie dem Butterfach aufbewahrt hat.
    Ein altmodischer Rollfilm, der vorzüglich in eine altmodische Agfa
Clack passt. Nach allem, was ich über meinen Bruder erfahren habe, scheint mir
ausgeschlossen, dass er aus lauter Liebe zu einem neugeborenen Kälbchen den
Film stibitzt hat. Da muss etwas anderes drauf sein.
    Das Herz klopft mir bis zum Hals. Könnte dieses belichtete Material
tatsächlich Erleuchtung bringen? Mir Antwort auf eine oder alle der drängenden
Fragen geben?
    Der Film muss sofort entwickelt werden!
    Der nächstgrößere Ort heißt Prüm, so viel habe ich inzwischen
gelernt. Auf dem Straßenschild direkt vor meinem Grundstück kann ich die
Entfernung ablesen: 18 Kilometer.
    Ich blicke auf die Uhr. Sollten in dem Kaff die Geschäfte um 18 Uhr
schließen, könnte ich es gerade noch schaffen, den Film im Express-Verfahren
entwickeln zu lassen, falls man in dieser Gegend das Wort überhaupt kennt.
    »Los, Alter, wir fahren noch ein Stück«, sage ich zu Linus und will
ihn in den Wagen scheuchen. Das schwarze Ungeheuer rührt sich nicht, legt nur
den Kopf auf

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