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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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auf eine Mulde voller Matsch.
    »Der Hügel war schon ganz hoch«, schluchzte sie, »die haben den
ganzen Sommer daran gearbeitet. Ich auch, ich habe ihnen Tannennadeln, Haare und
kleine Zweige gebracht. Alles umsonst. Alle tot.«
    »Das muss ein sehr junges und unerfahrenes Volk gewesen sein«, sagte
Gudrun sanft, »wenn es sich an dieser Stelle niedergelassen hat. Aber es sind
ganz bestimmt nicht alle ertrunken.« Sie blickte sich um und wies auf eine
schmale schwarze Ameisenstraße, die nach Norden ins Gelände führte.
    »Schau her, Nicole, die da drüben haben sich retten können. Jetzt
sind sie aus Erfahrung klug geworden und werden sich entweder einem älteren,
mit ihnen verwandten Volk anschließen oder eine geschütztere Stelle für den
Neuanfang suchen.«
    Entweder oder, dachte ich, vor genau dieser Wahl stand ich jetzt
auch. Und allen Fliegerbomben zum Trotz erschien mir die Großstadt eine
geschütztere Stelle zu sein als die mörderische Kehr meiner erfahrenen
Verwandten.
    »So viele Tote«, murmelte ich, nachdem wir das Mädchen an ihrem
Elternhaus abgesetzt hatten. »Wo beerdigen wir die unseren?«
    Gudrun blickte mich überrascht an. »Auf der Kehr natürlich«,
erwiderte sie. »Es sei denn, du willst den Gerd lieber in Belgien bestatten
lassen. Da ist es viel billiger.«
    Normalerweise aber würden die Bewohner der Kehr auf dem kleinen
Friedhof schräg gegenüber dem Mertes-Anwesen beigesetzt. Dort lägen Belgier,
Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfälzer aller Konfessionen in Eintracht
beieinander. Die Trauergottesdienste würden hingegen im jeweiligen Heimatland
abgehalten, für die NRWler
in der St.-Michaels-Kirche in Losheim, für die Rheinland-Pfälzer in der
Hallschlager St.-Nikolaus-Kirche und für die Ostbelgier in der
St.-Eligius-Kirche in Krewinkel.
    »Nicht in unserer Kapelle auf der Kehr?«, fragte ich voller
Bedauern.
    Gudrun zuckte mit den Schultern. »Wenn du das willst, kannst du ja
den Pfarrer anrufen.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Weder der Gerd noch mein
Vater hatten hier viele Freunde. Sogar die könnten sich schon in der Kapelle
verlaufen. Du hast recht. Die Trauergottesdienste für die beiden sollten auf
der Kehr stattfinden. Zu der von dem Alf kommen ganz viele Leute, da wird die
Fine unbedingt Losheim haben wollen.«
    Um ihre neue Freiheit zu feiern, dachte ich, als ich den Wagen vor
Gudruns Haus abstellte. Laut sagte ich: »Aber erst müssen sie allesamt von der
Rechtsmedizin freigegeben werden.« Warum dauert das nur so lange? In Krimis
erfuhr man das Ergebnis schon immer kurz nach der Tat.
    Gudrun ging mir nicht ins Haus voran, sondern ließ nur Linus hinein
und bat mich, sie zu der selbstmörderischen Kuh auf der Weide zu begleiten.
Auch wenn es nur ein Tier war, dessen bessere Teile ich ohne jegliches
schlechte Gewissen durch die Pfanne zog, musste ich mich zu diesem Gang ganz
schön überwinden. Ich hatte Angst, nach dem Anblick einer vom Blitz
zerbrutzelten Kuh unweigerlich zur Vegetarierin mutieren zu müssen. Beim Weg
über die Wiese bereitete ich mich im Geiste darauf vor, ersann lauter leckere
Gerichte ohne Fleisch, musste aber betroffen feststellen, dass sich ganz ohne
tierische Fette der rechte Appetit nicht einstellen wollte.
    Die Kuh lag immer noch da, wo Gudrun und Hein sie verlassen hatten.
Gudrun rannte auf das Tier zu. Ich stiefelte sehr langsam hinterher.
    »Alles in Ordnung!«, kam der erlösende Ruf. »Wir können sie ruhig
hierlassen. Es ist noch nicht so weit.«
    »Was geschieht jetzt mit ihr?«, fragte ich, vorsichtig näher
tretend. Ich wusste nicht, ob ich mich mehr vor der schwangeren Kuh oder der
gebieterischen Gudrun fürchtete. Jedenfalls hatte ich vollstes Verständnis für
Heins gestrige Ablehnung. Irgendetwas gegen den Willen dieses Riesentieres zu
tun grenzte meiner Ansicht nach an Größenwahn.
    Nun, Gudrun hatte sich als vernünftig erwiesen und die Kuh über
Nacht beim Windrad liegen gelassen, das wie durch ein Wunder den wilden Eifeler
Blitzen getrotzt hatte.
    Und jetzt, da ein neuer Tag angebrochen ist, soll ich
schon wieder mit ihr über die nasse Wiese zu dem schwangeren Rindvieh stapfen?
    »Ich weiß nicht so recht«, sage ich zögernd und hänge das nasse
Küchentuch an einen Haken.
    »Warst du denn schon mal bei einer Geburt dabei?«, fragt sie, ohne
eine Antwort zu erwarten. Sie fordert mich mit einer Kopfbewegung auf, ihr zu
folgen. Mir bleibt nichts anderes übrig.
    »Ich?«, gebe ich entsetzt zurück und erblicke vor meinem

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