Einkehr zum toedlichen Frieden
die Seite, hebt eine schlaffe Pfote und winselt zum
Steinerweichen.
»Bettler!«, schimpfe ich, schließe die Haustür auf und renne in die
Küche. Die Dose Hundefutter kann ich auch später öffnen; jetzt braucht das Tier
nur etwas gegen den größten Hunger. Ich ziehe ein Päckchen aus dem Kühlschrank.
Kalbsleberwurst. Ich zögere nur kurz. Mir fällt wieder ein, dass in einem
derart bezeichneten Produkt alles Mögliche steckt, nur eben so gut wie keine
Kalbsleber. Bellend springt der Hund hinter mir her, als ich, die Verpackung
mit den Zähnen aufreißend, wieder zur Tür sprinte. Wenn der Film heute noch
entwickelt werden soll, darf ich keine Zeit mehr verlieren.
Zu spät.
Mit quietschenden Reifen biegt ein weißer Jeep mit blauen Streifen
auf meinem Hof ein. Marcel Langer springt heraus. Sofort stellen sich mir alle
Härchen auf. Die Leberwurst fällt mir aus der Hand.
»Sie wollen sich doch nicht etwa vom Acker machen!«, begrüßt mich
der Polizist. Fast hätte er mich an den Handgelenken gepackt. Ich weiche
zurück.
»Warum sollte ich?«
»Das wissen Sie selbst am besten«, gibt er unfreundlich zurück. »Ich
habe mit Ihnen zu reden, Frau Klein, und wenn Sie hören, was ich Ihnen zu sagen
habe, werden Sie endlich mit der Wahrheit herausrücken! Von Ihnen lasse ich
mich nicht länger für dumm verkaufen!«
So böse und unversöhnlich habe ich ihn noch nie erlebt.
Mir werden die Knie weich. Ich vergesse den Film und lasse einen
schnaufenden Marcel Langer ins Haus vorangehen.
Wie ernst die Lage für mich ist, wird deutlich, als der koffeinsüchtige
Polizist den angebotenen Kaffee schroff ablehnt.
»Wir kommen am besten gleich zur Sache«, beginnt er, nachdem er sich
auf dem Sofa niedergelassen hat. Er wartet. Ich sage nichts. In der Stille
vermeine ich, mein Herz klopfen zu hören.
Linus springt zu Langer aufs Sofa, legt ihm den Kopf in den Schoß
und lässt sich zwischen den Ohren kraulen. Verräter.
»Gut«, sagt Langer schließlich. Er wischt sich ein zerzaustes
Haarbüschel aus der schweißnassen Stirn und zieht sich die dunkelblaue
Uniformjacke aus. Darunter kommt ein hellblaues Hemd zum Vorschein, gebügelt,
wenn auch nicht da, wo es der Hersteller vorgesehen hat. Sieht ganz nach der
Heimarbeit eines einsamen Polizisten aus.
»Dann fange ich eben an.«
Er beobachtet mich genau. »Erstens: Ihr Bruder ist nicht von dem
großen Bergkristall in der Krippe erschlagen worden.«
Ich mühe mich, alle Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten.
»Nicht? Aber sein Blut war doch daran.«
»Ist hinterher so präpariert worden. Aber da sage ich Ihnen bestimmt
nichts Neues.«
Wieder schweigt er. Die Stille dauert eine ganze Weile. Ich halte
dem Blick aus diesen braunen Augen stand, Augen, die so wunderbar verträumt
aussehen können und jetzt nur noch Trauer tragen. Das ist nicht auszuhalten.
Gleichzeitig öffnen wir den Mund. Ich schließe meinen wieder
schnell. Bloß nicht voreilig werden.
»Bitte, liebe Katja«, sagt er leise, mich zum ersten Mal beim
Vornamen nennend. »Sagen Sie endlich, was bei der Begegnung mit Ihrem Bruder in
der Krippana vorgefallen ist!«
Ich presse die Lippen aufeinander. Der Wandel vom bösen zum guten
Cop macht mir das Schweigen nicht leichter.
»Dann verrate ich Ihnen jetzt etwas, was Sie schon lange wissen
wollen: Gerd Christensen war gar nicht Ihr Bruder.«
Ich springe auf. »Was!«
Er nickt. »Bei Ihnen weist das Chromosom drei die Zahlen dreißig und
vierzig auf, bei Ihrem Bruder stehen an der gleichen Stelle zehn und zwanzig.
Auch wenn man bei Halbgeschwistern nicht von der fünfundzwanzigprozentigen
genetischen Übereinstimmung wie bei Vollgeschwistern ausgehen kann, ist völlig
klar, dass Gerd ganz andere Eltern hatte.«
Langsam lasse ich mich wieder auf meinen Sessel sinken und nicke
enttäuscht. »Also war Werner Arndt doch mein Vater!«
Langer schüttelt den Kopf. »Nein, den können Sie auch ausschließen.
Inzwischen liegen uns nämlich die Ergebnisse der rheinland-pfälzischen
Obduktion samt Genanalyse vor.«
»Wer war es denn dann!«, rufe ich ungeduldig. »Doch nicht etwa Alf
Mertes? Wäre der nicht zu jung gewesen?«
»Ach, altersmäßig wäre das schon gegangen«, meint Langer. Der
Trauerflor in seinen Augen ist verschwunden. Jetzt scheint er die Lage
plötzlich zu genießen. Aus diesem Mann ist einfach nicht schlau zu werden.
»Aber der war es auch nicht.«
»Wissen Sie denn, wer mein Vater war?«, frage ich ungläubig.
Er nickt.
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