Einkehr zum toedlichen Frieden
geistigen
Auge ein von Schleim und Blut überzogenes zuckendes Stück Fleisch, das ich
bestimmt nicht säubern und ofenfertig ruhigstellen will.
»Schon gut, Katja. Ich dachte nur, dass es dir nach all den
Todesfällen der letzten Tage vielleicht guttun würde, neues Leben zu begrüßen.«
Das ich nach dem Auftritt des Metzgers wunderbar zu meinem
speziellen Filetto tonnato verarbeiten könnte, überlege ich, als wir dem
Rindvieh mit dem dicken Bauch gegenüberstehen. Kalbszunge habe ich auch schon
lange nicht mehr gemacht – mit Pinienkernen, Sultaninen und Preiselbeeren.
Kalbsleber – köstlich. Die würde ich nur ganz schwach würzen und anbraten, mit
Birnenstückchen servieren und vor allem vor Linus verstecken. Aus Kalbshack
lassen sich die besten Königsberger Klopse herstellen, natürlich mit Kapern und
Sardellenpaste.
Die Kuh hebt ihr Haupt, stößt etwas aus, das wie ein Klagelaut
klingt, und mustert mich dann vorwurfsvoll aus braunen Augen. Das Tier ahnt
wohl, was in mir vorgeht. Muttertiere sollen ja spezielle Instinkte haben und
zu allem fähig sein, wenn ihre Brut bedroht wird. Wie war das noch mal mit der
zierlichen Frau, die einen Lastwagen anheben konnte, weil ihr Nachkömmling
darunter lag?
Ich trete einen Schritt zurück. In dieser Kuh lauern auch ohne
kommendes Kalb schon fürchterliche Kräfte.
Ich bewundere Gudrun, die sich über die liegende Kuh beugt und mit
den Händen irgendwo in dem massigen Leib zugange ist.
»Katja!«, ruft sie aufgeregt. »Es ist so weit. Komm, hilf mir!«
Ich trete noch ein paar Schritte zurück und hebe abwehrend die
Hände.
»Ich verstehe nichts davon. Ich mache bestimmt alles falsch.«
»Komm sofort her!«
Als hätte sie mich gezwungen, gehorche ich ihr. Diese Frau soll von
ihrem alten Vater tyrannisiert worden sein? Zugelassen haben, dass er ihr
Lebensglück zerstörte? Möglicherweise genötigt worden sein, ein Kind
abzutreiben? Diese Frau weiß nicht, wo sie demnächst unterkommen soll?
Unvorstellbar. Diese Frau weiß ganz genau, was sie tut, unterlässt oder
befiehlt. Sie verfügt über eine natürliche Autorität und duldet keinen
Widerspruch.
Aus funkelnden Augen blickt sie mich an, das Gesicht von blonden
Haarsträhnen umrahmt, die sich aus dem nachlässig zusammengebundenen Dutt
gelöst haben. Sie sieht schön und wild aus, wie sie da in ihrer Jeans und dem
übergroßen Herrenhemd – von Gerd? – auf dem Gras neben dem mächtigen Tier
kniet. Wäre es ein Stier, wäre sie Europa. Die sich mühelos auf den Rücken des
verwandelten Göttervaters schwingen und mit ihm zu neuen Gestaden aufbrechen
würde.
Aber die Kuh bleibt Kuh und Gudrun die hagere Frau, die sich ein
Leben jenseits der Kehr überhaupt nicht vorstellen kann. Die darunter gelitten
hat, dass sie Gerd nicht auf Augenhöhe ansprechen konnte. Etwas Hoheitsvolles
ist um sie, etwas Göttinnenhaftes.
»Näher! Mach schon!«
Eine Rachegöttin, geht mir plötzlich durch den Sinn, die wahre
Herrin der Kehr, die über die drei Höfe herrscht, die ich kenne, und über Leben
und Tod entscheidet.
Meine Angst vor dem riesigen schwarz-weißen Geschöpf weicht der
Angst vor Gudruns Zorn und Verachtung. Ich rücke noch näher heran. Die Kuh
liegt auf der Seite, hat den Kopf weit nach hinten gelegt und die Gliedmaßen
ausgestreckt.
Zwischen den Hinterbeinen klafft ein riesiges Loch, aus dem sich
eine bräunlichgelbe Blase hervorschiebt. Ich halte die Luft an, fürchte Gudruns
Auftrag, diesen Ballon zu zerstechen oder das kalbende Tier irgendwo zu
berühren. Plötzlich platzt die Blase. Ich schreie entgeistert auf.
»Nur die Wasserblase«, sagt Gudrun gelassen, »das Entscheidende
kommt gleich. Und dann werden wir sehen, ob wir mit Händen und Armen rein
müssen.«
Gleich dauert ganz schön lange. In dieser Zeit überlege ich, in wie
viele tote Fisch- und Geflügelkörper ich meine Hand ohne jegliche Bedenken
gesteckt habe. Aber das, was ich dann herausnahm oder hineintat, befand sich
jenseits allen Schmerzes und bewegte sich normalerweise nicht.
»Wenn das Kalb falsch liegt«, sagt Gudrun, »dann müssen wir es
herausziehen. Ah, sieh doch, da kommt es ja schon.« Wider Willen fasziniert,
schaue ich auf zwei kleine schwarze Beine, die plötzlich wie in Plastikfolie
eingeschweißt aus der Kuh herausstaken.
Gudrun stößt einen erleichterten Seufzer aus und erhebt sich.
»Alles in Ordnung. Den Rest schafft sie allein. Geh zum Haus, Katja,
und hol die Schubkarre neben dem Kellereingang.«
Ich
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