Einmal auf der Welt. Und dann so
verloren oder etwas später, als sie mir meinen Frederic zum Essen hinstellten. Frederic war nach Gigi, nach Caro, mein liebster Freund geworden, er war damals vielleicht ein halbes, ich zehn Jahre alt. Frederic war immer schon schwächlich, hätte er sich nicht ein Bein gebrochen, wäre er schon früh als Spanferkel ausgesondert worden. Dazu nimmt man die schwächsten Exemplare, jene, die es niemals bis zur Schlachtreife bringen würden. Frederic hatte Glück, ich durfte ihn aufziehen, nachdem ich Gigi und Caro verloren hatte. Es ergab sich eine Freundschaft, ein dritter Versuch. Unsere Freundschaft wurde bald belächelt, im Grunde aber anerkannt und sogar beneidet, da etwas Ähnliches zwischen Menschen kaum vorkommen dürfte, denn wir stritten uns kein einziges Mal und waren unzertrennlich. Man musste mich manches Mal abends, wenn es dunkel wurde, im Stall von Frederic wegreißen und ins Bett bringen. Da hatte ich neben Frederic im Trog gelegen und gehört, und verstanden, was er mir sagte. Es war Liebe.
Eines Tages schaffte man mich in die Ferien, nach Schwackenreute, zum Mostonkel. Zum Essen wurde mir Most eingeschenkt, der Onkel lachte dreckig, und wenn ich ihn recht verstand, und wenn ich mich recht erinnere, sprach er von Speck, wachsen und groß und stark werden. Der Mostonkel hatte ja so wenige Wörter, dass es schwer war, ihn zu verstehen. Vielleicht bestand sein Vokabular aus hundert Wörtern, vielleicht waren es auch weniger, dies noch alles per Sprachfehler übermittelt; und so bedurfte es der Kunst der Interpretation, einen solchen Onkel einigermaßen zu verstehen. Auf die Zeichen konnte man auch nicht gehen, seine Zeichensprache war ebenfalls sehr reduziert, ein mostrotes Gesicht zählte ja nicht. Frederic verstand ich besser, seine Zeichen waren eindeutig, während der Mostonkel unglücklicherweise auch noch verschlagen war. Wie er den Führerschein bekommen hat, weiß ich nicht. Vielleicht hatte er ihn niemals bekommen, jedenfalls fuhr er mit seinen verschiedenen Fahrzeugen in der unmittelbarsten Gegend von Schwackenreute herum. Namentlich sein alter feuerroter Ford Escort hatte einen gewissen Ruf in der Gegend, man kannte ihn und das feuerrote Gesicht mit dem Hut, tief in den Sitzen, schon vom Sehen.
So wird er damals zu uns gefahren sein und wird Frederic getötet haben, »Seil geits it!«, wird er gesagt haben. Er war ja nebenher Metzger. Als ich nach Hause kam, hieß es, die Nachtfrau habe Frederic geholt.
Man hat mir nie die Wahrheit gesagt, aber heute weiß ich: Man hat mir Frederic damals auch noch auf den Tisch gestellt, als Wurstsuppe, mit den geplatzten Schwarzwürsten, die in dieser Suppe schwammen. Was soll ich von einem Menschen noch erwarten?
Damals muss ich den Verstand verloren haben, denn unmittelbar darauf begann ich zu dichten. So begann es mit der Schriftstellerei.
Ich war noch ein Kind; und zwar ein gezeichnetes. Der Tod dieser drei Lebensgefährten auf Zeit machte mich zu einer Art Schriftsteller, in jenem Augenblick, der mir die Sprache verschlagen hat. Und dieser gehäufte Tod war wohl auch der Grund für mein späteres Theologiestudium, das mich in die Ewige Stadt führte. Dort konnte ich freilich über den Verbleib meiner Geliebten und über den Sinn unserer Einmaligkeit, unseres Lebens auf Zeit, unserer ewigen Liebe, die von keinem von uns jemals widerrufen wurde, sage ich als Überlebender, nichts erfahren. Das ist ein anderes Kapitel.
Caro, Gigi, Frederic, das war die Grundschule meiner Verluste.
War es noch verwunderlich, dass ich mich bald nur noch für Frauen ab zweiundeinhalb Zentner interessierte oder wenn sie sonst eine Besonderheit aufwiesen?
Nach Meßkirch konnte ich nun mit dem Fahrrad kommen. Bei den Schrott-Weibern, die das Kurzwarengeschäft Geschwister Schrott am Marktbrückle führten, wurde mir ein Fix-und-Foxi-Heft in die Hand gedrückt, und nun sollte ich damit leben. Nachdem ich Caro und Gigi nicht mehr hatte, sollte ich ein Fix-und-Foxi-Heft lesen. Es gab alles, was man so brauchte, bei den Schrott-Weibern. Weib ist in unserer Sprache keine Abwertung, hat vielmehr mit Liebe zu tun, mit Hüftgürteln, bei uns Kummet genannt, mit Unterwäsche, Hosenträgern und sonstigem Zubehör, was man für Leben und Liebe brauchte. Es gab auch Stricknadeln und alles, was man zum Stricken und Leben brauchte, aber auch eine Lotto-und-Toto-Annahme und Heuberger Schleuderhonig. Außerdem war noch ein Fußpflegesalon eingerichtet, ich weiß nicht, mit welchem
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