Einmal auf der Welt. Und dann so
Recht.
Und so kam ich schon früh zu ihnen: mit den Hühneraugen meiner Großmutter. Es gibt sie immer noch, die jungen zwei, meine ich, die jetzt die alten zwei Schrott-Weiber sind, während meine alten zwei angeblich über der Registrierkasse hängen. Ich war zum letzten Mal (mit etwa 14) mit meiner Großmutter zum Hühneraugenausschneiden. Alle, tout Meßkirch und darüber hinaus, kamen hierher zur Fußpflege. Auch Heidegger. Alle vier waren von einem erstaunlichen Blond, das nicht von hier und nicht für mich bestimmt war. Auf den Schoß sitzen durfte ich nur bei Klärle, der älteren der alten zwei, und das bis zu meinem achten Lebensjahr. Die jungen zwei setzten sich über mich hinweg, was sollten sie mit so einem Kleinen vom Land? Ina schnupperte auffällig, ich weiß nicht, ob meinetwegen oder wegen eines fazialen Automatismus. So seh' ich sie heute noch, sie bleibt mir mit ihrem Schnuppern im Gesicht, während ich bei Klärle auf dem Schoß sitze, die mit mir eine Zeit lang die Fix-und-Foxi-Hefte durchblättert, mit denen ich nun leben soll, und mich auf Besonderheiten innerhalb der Woche für Woche länger werdenden Geschichte hinweist. Noch bis zur Ersten Heiligen Kommunion durfte ich bei ihr auf den Schoß sitzen, dann war es aus damit - im Sommer mit der kurzen Lederhose zwickte sie mich zum Spaß in die Oberschenkel.
Das war kurz vor der Zeit, als Lucy meinen Arsch zum ersten Mal göttlich nannte, süß war er ja immer schon, von Kindesbeinen an. Lucy hat ihr Leben lang nicht begreifen wollen, wie es zur Diskriminierung dieses Körperteils kommen konnte. Bis zum heutigen Tag setzt sie sich für seine Rehabilitierung ein. Klärle meinte es nicht so, wenn sie mich koste (sie sprach noch von kosen), wir waren ganz unschuldig in allem. Schon früh nahm sie mich auf ihren Schoß - und ich weiß auch nicht, warum. Machte ich in die Hose, lachte sie. Ich war damals krank, Fix-und-Foxi-Heftchen trösteten mich nicht. Ja, sie vertrieben mir nicht einmal als Kind die Zeit, nie haben sie mir die Zeit vertrieben, ich blätterte sie lustlos durch, sah die Sprechblasen, ich konnte doch schon lesen! Die Miederwaren, die in den Glasvitrinen oder auf den Tischen herumlagen, interessierten mich hingegen von Anfang an. Die Fix-und-Foxi-Heftchen, die mir hingelegt wurden und mich nicht interessierten; die Miederwaren, die mir nicht hingelegt wurden und mich interessierten, von denen ich immer nur die Verpackung oder die ausgepackte Ware sah (in das Probierzimmer, einen weiteren Nebenraum, kam ich ja nicht) ... Verpackungen, Netzstrümpfe mit Strapsen oder Hüftgürtel interessierten mich, galten offiziell noch nicht als anstößig, waren damals eher halb Sanitäts- oder Behindertenzubehör. Von hinter der spanischen Wand kamen ab und zu Aufschreie von Frauen, denen die alte Schrott in den Fuß schnitt. Sie zitterte und rauchte und trank und war ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen. Und ich? Ich wurde in den Unsinn, das Leben zwischen den Kurzwaren eingewiesen. Es war immer laut bei den Schrott-Weibern, fast wie in Schwackenreute an einem gewöhnlich grauen Sonntagnachmittag. Ab und zu wurde von der Metzgerei Nil gleich nebenan ein in Zeitungspapier eingewickeltes Fleischkäsweckle hereingereicht. Honig konnte bei den Schrott-Weibern auch noch gekauft werden. Er stand in 5-Kilo-Eimern zu einer Pyramide getürmt im Schaufenster, zusammen mit einem immerwährenden Porträtfoto von Heidegger: dankend-grüßend eines seiner kleinen Zeichen. Ich verliere mich. Wir waren krank ...
Klärle war die Erste, die mit meinem Sprachfehler kam: Das gefällt mir gar nicht, dass der Bub so jung ist und schon stottert, sagte sie auf Mannheimerisch, denn von dort hatte es sie nach Meßkirch verschlagen. Sie träumte oft von Mannheim und der Kurpfalz, so wie man eben von der Heimat träumt.
Zu meinem Stottern kam ja noch das In-die-Hose-Machen (als mein In-der-Welt-Sein, als weiteres Muttermal) dazu, ich sagte es schon. Das eine ging in das andere über, ohne dass ich jetzt sagen könnte, wann und wie, ich muss irgendwie sagen, das erfasst meine Krankheit wohl am genauesten, irgendwie trat alles gelegentlich zusammen auf, massiv, weniger massiv. Wenig später schon die Zeit des Tanzstundenterrors (nur das Stottern hatte ich noch nicht abgelegt), ich sollte meine Dame auffordern, ich stotterte freilich, ich stotterte insgesamt, meine gesamte Erscheinung und Existenz war in dieses Stottern einbegriffen, war ein einziges Stottern.
Es folgte
Weitere Kostenlose Bücher