Einmal auf der Welt. Und dann so
ja nur, bei Caro und Gigi zu sein, meinetwegen im Himmel.
Von meinen Vorfahren sind wenigstens Grabsteine geblieben. Die Schwanz-Seite hat sich Granit aus der einstigen Heimat (Tirol) kommen lassen, hingestellt und sich verewigt, auf ihre Weise, so gut sie konnten. Aber von Gigi und Caro habe ich gar nichts mehr. Ich weiß nur noch, dass sie verschwunden sind. Die Fotos mit Gigi und Caro, uns als die jeweils Einzigen auf der Welt zeigend, sind verloren. Anhand von Fotos müsste ich die meisten Verluste rekonstruieren. Anhand der Erinnerung an verlorene Fotos ...
Da, unter dem Kastanienbaum, lag er doch? Dahin hatte man ihn doch zur Seite gezogen? Da triefte doch Blut aus seinem Mund, ich kann nicht Schnauze sagen, aus der Tiefe, da lebte er doch noch.
Und dann eine Art Gegenüberstellung, die Identifizierung am Ort, an den ich gerufen wurde und wo es geschehen war: Da musste ich meinen ersten Toten identifizieren: Ja, du warst es.
Und dann meine Gebete, mein Requiem aeternam für einen Hund und mein Lux aeterna. »Das Ewige Licht leuchte dir!«, betete ich. Du lagst auf einem Kartoffelsack. Und Gigi? Hat sie nicht jahrelang ihre zahlreichen Kleinen durch diesen Hof hier geschleppt? Ihre Nachkommen leben ja noch unter uns in der nunmehr fünfzehnten Generation und können nichts wissen von ihrer Mutter. Da trug meine Gigi ihre Kinder durch den Hof, sie hatte sie zwischen ihre Zähne genommen. Was für eine gute Mutter sie war! Dieser Hof, dieses Stalltürchen, diese Erinnerung.
Meist lebten wir nebeneinanderher, die fünfzehnte Generation seit Tirol neben der vierhundertfünfzigsten Katzengeneration.
Der Abschied war herzzerreißend. Denn diesmal war er endgültig. Gigi lag zu Füßen der Hofeinfahrt, unten an der Straße, ganz ohne Zweifel: tot. Ich wurde von den Nachbarkindern gerufen: »Gigi ist überfahren worden! Deine Gigi liegt tot auf der Straße!« Und ich rannte, ungläubig, zur Straße hinunter bis zur Stelle, die mir das Herz gebrochen hat. Ich weinte nicht, ich war schon auf (sogenannten) Beerdigungen gewesen, ich hatte von den Erwachsenen gelernt, wie man nicht weint, ich war schon ganz eingewöhnt ins Leben, ins Licht der Welt, das ich an dieser Stelle erblickte, das Blut. Bei Caro konnte ich noch weinen. Aber mit Gigi vor mir verstummte ich, mit kurzen Atemzügen stand ich vor meiner Toten, ich verstummte zu kurzen Atemzügen, die unsichtbar blieben - und kaum hörbar. Da schalten mich meine Nachbarkinder, die einst mit mir nach den Jungen von Gigi gesucht hatten, auf dem Heustock, in den verschiedenen Nebengebäuden, in den alten Schränken, in den Betten, nach den Jungen, die nun auch ihre Wege gingen so wie die Nachbarkinder von einst, heute, und ich weiß nicht, wie sie den Verlust ihrer Mutter aufgenommen haben. Die mit mir nach diesen Jungen gesucht hatten, verachteten mich nun, weil ich um Gigi nicht weinte. Alles, was ich tat, nachdem ich alles gesehen hatte, war, in die Scheune zu gehen und einen Getreidesack zu holen, einen schönen Getreidesack, auf dem mein Name stand wie auf dem Scheunentor, den Grabsteinen und meiner Geburtsurkunde, und Gigi darauf bettete. Sie war schon hart wie die Toten.
Caro hatte ich nach einer Woche noch einmal sehen wollen. Wir spielten damals heilige Messe und Requiem. Eine feierliche Exhumierung an der Stelle, wo wir ihn begraben hatten. Es war nichts mehr da von ihm. Vielleicht etwas Braunes, Graues, Dunkles, Weißliches, Stoff- oder Sackreste. Alles fiel auseinander, von der Schaufel herunter, nichts war mehr da ... Ein guter Boden ... Wir erschraken über dieses Nichts und rannten davon, ließen in der Eile die Schaufel und die Mistgabel liegen. Bei Gigi verzichtete ich auf diesen Versuch eines Wiedersehens. Das ist die ganze Geschichte.
Gigi war tot. Schon einmal war ich gerufen worden. Hatte an der Straße gestanden, hatte nicht hinsehen wollen, die Hände vor dem Gesicht, weinend. Ich wollte nicht sehen. Aber es war gar nicht Gigi gewesen. Ich hatte nur auf die anderen gehört, die Gigi nicht von den anderen unterscheiden konnten. Etwa nach zwei Wochen - ich hatte in dieser Zeit meines Lebens, immer noch wachsend, erstmals Gewicht verloren - tauchte Gigi wieder auf. Sie erschien, erschien mir mit zwei Jungen vom Heustock herunter, die Kleinen konnten schon sehen und wackelten auf mich zu.
Jetzt aber wollte ich sehen und sah, dass Gigi tot vor mir lag. Diese Stelle in meinem Leben, kaum von mir entfernt.
Vielleicht habe ich damals den Verstand
Weitere Kostenlose Bücher