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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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jemand noch zur Vernunft kommt.«
    »Warum? Ist das Ungeheuer nur Schwindel?«
    Er zwinkert mir zu. »Na, hoffentlich nicht.« Legt zwei Schlüssel auf den Schreibtisch. »Hütte Nummer zehn.«
    »Für uns beide?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wir sollten in unterschiedlichen Hütten wohnen.«
    »Tatsächlich? Mist. Lassen Sie mich überlegen.« Er kaut an seinem Fingernagel. »Das Problem ist, dass der Schiedsrichter eine Menge Leute mitbringt.«
    »Wer ist der Schiedsrichter?«
    »Das darf ich erst verraten, wenn er oder sie persönlich eingetroffen ist.«
    »Und wann ist das?«
    »In ein paar Stunden. Mal sehen: Del ist schon bei Miguel untergebracht …« Als er aufblickt, zuckt die unversehrte Gesichtshälfte. »In Ihrem Zimmer kann man die Betten auseinanderrücken, falls das was nützt.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagt Violet, die plötzlich hinter mir auftaucht. »Eine Nacht lang dürfte Dr. Azimuth das überstehen.«
     
    Die Hütte Nummer zehn ist ganz hübsch, doch es riecht moderig, und die Luft ist von sexueller Spannung erfüllt, also beschließen Violet und ich, zu den Felsmalereien am Omen Lake zu fahren.
    Davey, der junge Mann mit dem Klemmbrett, besorgt uns ein Kanu. Grünes Kevlar, das aussieht wie eine mit Schellack beschichtete Leinwandhaut. Das Boot ist total leicht: In der Mitte befindet sich statt eines Bretts ein jochartiger Toilettensitz, durch den man den Kopf stecken soll, um das umgedrehte Kanu auf den Schultern tragen zu können. Aber wenn man das nicht will – weil man dann nichts mehr sieht oder weil jeder, der Lust dazu hätte, einem das Genick brechen könnte –, kann man das Kanu auch mit den Händen über dem Kopf tragen.
    Violet erklärt mir, wie man paddelt, und dann machen wir unsere erste Portage das halbe Westufer des Ford Lake entlang.
    Der Omen Lake: nicht besonders ominös. Er hat die Form einer Hantel und ist an der schmalsten Stelle auf beiden Seiten von einer orangeroten Felswand gesäumt, an der sich die Piktogramme befinden. Das Wasser ist so klar, dass man die Felsen am Grund sehen kann, und das Laub der Bäume leuchtet bereits in Farben, die verglichen mit Grün weniger Infrarotlicht absorbieren. [37] Wir sind dort die einzigen Menschen.
    Violet steuert uns direkt an den Fuß der Felswand. Dann steht sie auf und stützt sich mit einer Hand daran ab.
    »Du musst das Paddel links aufsetzen, damit wir im Gleichgewicht bleiben«, sagt sie.
    »Was hast du vor?«
    Sie schwingt sich an die Felswand, bevor ich mein Paddel eintauchen kann. Das Kanu treibt weg von der Wand. Als ich es wieder unter Kontrolle bringe, ist sie schon drei Meter über dem Wasser.
    »Du kannst ja klettern«, sage ich.
    »Alle Paläontologen können klettern. Und das sind schöne Felsen: Die sind vermutlich vier Milliarden Jahre alt.«
    Ich lehne mich zurück, um ihr zuzusehen. Das ist nicht der schlechteste Anblick.
    Und als der See plötzlich doch ominös wird, habe ich das Gefühl, eine Falle sei zugeschnappt. Erst Sonne und Violets Arsch von hinten und unten, und plötzlich Wasser, das nach salziger Fäulnis riecht und pure Bosheit verströmt. Was gerade noch wie ein leises Plätschern oder wie ein Trommeln an die Unterseite des Kanus klang, scheint auf einmal das vorsichtige Sondieren hungriger Unterwassertiere zu sein.
    Ich suche nach einer Veränderung: einer Wolke vor der Sonne oder einer kalten Wasserströmung, die ich durch die Membran des Kanus spüren kann. Doch da ist nichts. Nur unsichtbare Dunkelheit und die Tatsache, dass ich am ganzen Körper schwitze und völlig weg bin.
    Meinen Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung – von denen ich in der hoffnungslosen Arbeitswelt auf einem Kreuzfahrtschiff ziemlich viele habe – sage ich immer, dass man augenblicklich der Meinung ist, Panikattacken seien eher körperlicher als psychologischer Natur. Die Erinnerung an ein schreckliches Erlebnis steht direkt mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung, das für so was ein eigenes Gedächtnis hat. Das vegetative Nervensystem löst dann die physiologischen Veränderungen aus – noch bevor man weiß, dass man Angst hat. Die Panik folgt auf die schweißnassen Hände und die Atemnot, nicht andersrum.
    Durch dieses Wissen sollen sich die Leute wohler fühlen oder wenigstens nicht schuldig an ihrem Wahnsinn. Das könnte sogar stimmen. Aber auf dem Omen Lake, mit verschwimmendem Blick und schweißnassem Körper, voller Angst vor einem Süßwassersee, der schon unzählige Male

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