Einmal durch die Hölle und zurück
besucht und fotografiert wurde, nützt mir das nicht viel. Das Einzige, was ich außer meiner Angst empfinde, ist unbändige Wut.
Elf Jahre?
Dieses ganze Theater bloß wegen ein paar üblen Dingen, die ich vor
elf Jahren
in einem Haifischbecken erlebt habe?
Am nächsten Tag starb Magdalena. Und mit ihr starb auch ein großer Teil von mir. Aber Sie werden’s nicht glauben: Die ständige Ausflipperei bringt sie auch nicht zurück.
Ist die Teilnahme an einer zwölftägigen Kanutour, die am nächsten Morgen beginnen soll, vielleicht keine besonders gute Idee? Bei genauerer Betrachtung nicht.
Und wie steht’s mit der Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff?
Trotzdem:
Herrgott noch mal! Komm endlich drüber weg
.
»Lionel!«
Das gespenstische Gefühl löst sich in Luft auf, als wollte es nicht mit mir gesehen werden. Violet kommt wieder runtergeklettert. Das Kanu ist drei Meter weit abgetrieben. Ich paddele es zur Felswand zurück.
Als sie wieder eingestiegen ist, dreht sie sich zu mir um und sieht mich an. »Alles in Ordnung?«
»Ja, klar.«
»Sieht aber nicht so aus. Was ist los?«
»Nichts. Mir geht’s gut. Wie waren die Felsmalereien?«
»Ungefähr das, was wir erwartet haben.«
Wir haben nicht viel erwartet. Bücher, in denen die Malereien auf Englisch beschrieben werden, gibt es schon seit mindestens 1768 , und sowohl die Radiokarbonmethode als auch die Ojibwe sagen, die Bilder seien noch älter. Das schließt einen Schwindel nicht völlig aus – vielleicht haben die Ojibwe sie ja erst 1767 gemalt, aber zweihundert Jahre alten Fischtran dazu benutzt –, spricht jedoch dagegen, dass Reggie Trager daran beteiligt war.
Violet starrt mich immer noch an. »Bist du sicher, dass du mir nichts erzählen willst?«
»Nein«, sage ich und stoße mich mit dem Paddel von der Felswand ab, um loszufahren.
Und das stimmt zumindest.
In der Lodge erwarten uns ein paar nette Ablenkungen. Erstens holt uns Del – der Typ, der mit oder für Reggie arbeitet – am Steg ab, um uns mitzuteilen, dass wir zum Rest der Gruppe in die Empfangshütte kommen sollen, weil Reggie uns etwas sagen will. Und als wir die Empfangshütte betreten, sind außer Wayne Tengs Gruppe und allen Angestellten der Lodge auch fünf neue Gäste da. Einer von ihnen, Tyson Grody, ist eine Berühmtheit.
Grody dürfte ungefähr vierundzwanzig sein. Er singt und tanzt und war früher Mitglied einer Boyband. Popsongs, die man auf dem Weg zu einer Ausländerbar im Taxi hört und deren Sänger wie ein Schwarzer in mittlerem Alter klingt. Frauen auf Kreuzfahrtschiffen hören ihn immer beim Vögeln.
In persona ist Grody ziemlich klein, lächelt ständig und hat Glubschaugen und Zuckungen, aber wenigstens hat er zwei echte Schwarze dabei. Die beiden sind riesig. Als sie die Bodyguards der Teng-Brüder sehen, liefern sie sich trotz der Sonnenbrillen ein Blickduell, das darauf hoffen lässt, es könnte später noch zu Kampfszenen wie in
Super Streetfighter
IV
kommen.
Die beiden anderen neuen Gäste sind ein grimmig dreinblickendes Paar Ende fünfzig. Ihre Rolex-Uhren, ihr Haar und ihre Haut haben dieselbe Farbe wie ihre Safarikleidung. Außerdem haben sie dieselbe vorgeschobene Unterlippe.
»Leute, ich hab schlechte Nachrichten«, verkündet Reggie.
Als alle still sind, sagt er: »Der Schiedsrichter ist noch nicht da und kommt erst morgen Nachmittag. Also geht’s morgen früh noch nicht los. Wir könnten aufbrechen, wenn der Schiedsrichter kommt, aber das hätte nicht viel Sinn, denn wir kämen trotzdem einen Tag später an. Wir hätten unterwegs bloß eine zusätzliche Übernachtung. Deshalb verschiebe ich das Ganze um einen Tag, und wir brechen erst Sonntag früh auf.
Wenn das ein Problem ist, und einige der Gäste nicht bleiben können, habe ich dafür Verständnis. Für alle, die bleiben wollen, bedeutet es, dass wir die Expedition um einen Tag verkürzen und zur geplanten Zeit zurückkommen können. Oder wir lassen alles beim Alten und kehren einen Tag später zurück. Das müssen Sie entscheiden. Die zusätzliche Übernachtung in der Lodge ist natürlich kostenlos, das gilt auch für alles, was Sie während Ihres Aufenthalts hier unternehmen. Angeln, Kanufahren – wozu auch immer Sie Lust haben. Aber unabhängig davon, ob Sie mitkommen, möchte ich Sie zu einem gemeinsamen Abendessen mit mir, Del, Miguel und ein paar von den Guides einladen.« Er blickt auf die Uhr an der Wand. »Das direkt nach dieser Besprechung stattfinden soll.«
In der
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