Einmal Himmel und zurück: Der wahre Bericht einer Ärztin über ihren Tod, den Himmel, die Engel und das Leben, das folgte (German Edition)
medizinisches Handbuch und sagten, ich sei nun verantwortlich für die gesamte Geburtshilfe, ja sogar für den gelegentlich notwendigen Kaiserschnitt. Ich hatte nach dem Abenteuer gesucht und besaß viel Selbstvertrauen, war aber gewiss nicht auf dieses hohe Maß an Verantwortung vorbereitet; daher fragte ich mich, ob sie nicht eine völlig falsche Vorstellung von meinen Qualifikationen hatten.
Als ich ihnen diese Frage stellte, empfahlen sie mir, Gebete zu sprechen und um Unterweisung zu bitten.
Ich erwiderte ihnen, dass sie verrückt seien.
Während meines Aufenthalts in der Krankenstation betete ich jedenfalls fieberhaft. Ich wohnte einfachen Geburten bei, wirkte bei schwierigen Geburten mit, die Eingriffe erforderten, und führte sogar Kaiserschnitte durch. Glücklicherweise haben wir – ungeachtet meiner beschränkten Kenntnis, Erfahrung und Ausrüstung – nie ein Kind oder eine Mutter verloren.
Indem ich mir diese Erfolge als Verdienst anrechnete, hielt ich mich für eine schnell Lernende, eine gute Leserin und behutsame »Chirurgin« … Später in meinem Leben, nachdem ich das Medizinstudium abgeschlossen und die Facharztausbildung zur Chirurgin begonnen hatte, wurde mir jedoch schmerzlich bewusst, dass solche Anstrengungen nur wenig zu tun hatten mit meinen frühen Versuchen. Damals hatte ich nur meine Hände zur Verfügung gestellt, durch die Gott sein Werk verrichten konnte. Die Anerkennung gebührte ihm allein; ohne seine Anleitungen und Eingriffe hätten viele unserer Patienten wohl nicht überlebt.
Als ich jenen Aufruf im Kirchenblatt las, der mich schließlich in die mexikanischen Berge führte, interessierte ich mich für die Arbeit in der Krankenstation, aber nicht im Geringsten für die missionarische Tätigkeit. Die Verkündigung des Evangeliums, die Sonntagsgottesdienste und die Bibelcamps erschienen mir langweilig und unangenehm. In meinen Augen war Spiritualität eine private Angelegenheit, und die Vorstellung, darüber mit anderen zu diskutieren oder sie in ihrem Glauben zu bestärken, behagte mir nicht. Doch alle Bewohner des Bergdorfes – Erwachsene wie Kinder – nahmen an unseren Bibelcamps teil, und so stellte ich überrascht fest, dass ihre spirituelle Begeisterung nicht nur ergreifend, sondern auch ansteckend war. Sie hatten nur wenige materielle Dinge und oft nur genügend Nahrung für eine ordentliche Mahlzeit pro Tag, priesen und dankten aber Gott sofort und voller Anmut für ihre täglichen Segnungen. Gott war für sie nicht bloß eine »Sonntagssache«, und so sangen sie ihre Loblieder mit echter, tief im Herzen empfundener Freude.
Es inspirierte mich zu sehen, wie nachhaltig Gott im Leben dieser einfachen Menschen fern der Zivilisation wirkte, und zu erkennen, dass sie für ihn genauso sichtbar und wertvoll waren wie die äußerst geschäftigen und »wichtigen« Leute in den Großstädten. Zweifellos konnte nichts in ihrer Lage sie von Gottes Liebe trennen. Wenngleich der missionarische Aspekt dieses Abenteuers meine »Bequemlichkeit« auf die Probe gestellt haben mag, erwies er sich doch keineswegs als langweilig.
4
Geistiges Erwachen
Menschen sehen nur das,
was sie zu sehen bereit sind.
Ralph Waldo Emerson
Meine Erfahrungen in den mexikanischen Bergen vermittelten mir eine genauere Vorstellung von dem Menschen, der ich werden wollte, und so arbeitete ich nach Abschluss der Highschool weiter daran, sie zu verwirklichen. Die ritualisierten Gottesdienste in der Episkopalkirche gaben mir nach wie vor Rückhalt und aufgrund ihres vorhersehbaren Ablaufs ein Gefühl von Stabilität inmitten pubertärer Wirrungen. Das strahlende Leuchten der sonnenbeschienenen Buntglasfenster erfüllte meinen Geist mit Kraft, und die melodische Stimme des Kantors verlieh meiner Seele Flügel, auf denen sie ein ums andere Mal davonschwebte.
Zu bestimmten Anlässen besuchte ich auch die Gottesdienste in der presbyterianischen Kirche, der katholischen Kirche, der lutherischen Kirche und der nicht konfessionsgebundenen christlichen Kirchen in der Gemeinde meiner Familie. Ich habe die Vielfalt der Konfessionen, die in der heutigen Welt existieren, stets geschätzt. Ihre unterschiedlichen Formen der religiösen Andacht, der Kommunikation mit dem Göttlichen, bieten Menschen in den jeweiligen Stadien ihres Lebens und ihrer geistigen Reise die Möglichkeit, den Ort zu finden, wo sie sich am wohlsten fühlen und ihr Glaube stärker werden kann.
Nach der Highschool begann ich das Studium an der
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