Einmal Himmelblau und zurueck
machen? Um diese Uhrzeit? Oder bist du schon müde?« Er ist fertig und legt sein Besteck ordentlich auf den leeren Teller. Seine Augen leuchten hellwach. Meine bekommen langsam den Müdigkeitsglimmer, aber das werde ich natürlich niemals zugeben. Daher schüttele ich verneinend den Kopf, stopfe mir noch eine letzte Gabel Salat in den Mund, um das Gähnen zu vertuschen, und überlege angestrengt.
»Hm ... es ist Sonntag und –« Ich schaue auf meine Uhr. »Gleich Mitternacht. Da wird die Wahl eng. Worauf hast du denn Lust? Willst du weggehen? Tanzen? Oder lieber ruhig sitzen, dich unterhalten und noch ein Bierchen trinken?« Er grinst und hebt den Finger. Ja, ich habe ihn richtig eingeschätzt. Ein weiterer Punkt für ihn.
»Gut, dann lass uns ins Brauhaus gehen. Die haben immer bis fünf Uhr in der früh geöffnet.«
Wir zahlen die Rechnung, bzw. John zahlt. Ganz gentlemanlike übernimmt er die Kosten und gibt der Kellnerin noch ein gutes Trinkgeld drauf zu.
Langsam merke ich die Anstrengung der letzten Woche in meinen Knochen und die Müdigkeit will Oberhand gewinnen, aber mit seiner fröhlichen, ansteckenden Art schafft John es schnell, meine Antriebslosigkeit zu vertreiben. Die kalte Luft tut ihr Übriges.
Ich vergrabe mein Gesicht tief in meinem Loop, ziehe meine Mütze über die Ohren und frage mich, wie ich den Weg zum Brauhaus in dieser dünnen Jeans überleben soll. Das Adrenalin verlässt meinen Körper und mir wird kalt. Am liebsten würde ich ein Taxi nehmen, aber es ist Sonntag, fast Mitternacht und daher weit und breit keines in Sicht. Und auf Bahnfahren hab ich wenig Lust. Unkontrolliert klappern meine Zähne aufeinander und ich fange an zu zittern.
John scheint das zu merken, denn sofort legt er wie selbstverständlich seinen Arm um mich und zieht mich eng an sich. Dankbar schmiege ich mich an ihn und gleich wird mir wärmer. Mein Herz klopft nicht mehr ganz so wild wie am Anfang, aber der enge Körperkontakt lässt es noch hüpfen. Ich spüre die Hitze, die von ihm ausgeht. Trotz seiner Jacke gibt er mir genügend von seiner Körperwärme ab und langsam taue ich wieder auf. Das Zittern meiner Beine vergeht und im Gleichschritt schlendern wir langsam die Straße entlang. Die Weihnachtsbeleuchtungen aus den Fenstern strahlen auf uns hinunter und es herrscht noch eine Menge Betrieb auf der Straße. Müssen die morgen denn alle nicht arbeiten? , frage ich mich und denke daran, dass ich selbst morgen auch liegen bleiben kann. Allein oder zu zweit ...
Ich fühle mich wohl. So wohl, wie schon lange nicht mehr.
Ich weiß nicht, was John vorhat. Ich weiß nicht, woher er kommt oder wohin er gehen wird. Ich weiß weder, ob er mir die Wahrheit über sich erzählt hat, noch, ob er das für mich fühlt, was sein Verhalten widerspiegelt. Doch als ich ihm im Steakhaus gegenübersaß, habe ich beschlossen, mir darüber keine Gedanken mehr zu machen. Ich möchte diese Nacht mit ihm einfach nur genießen. Was morgen oder übermorgen oder nächste Woche ist, interessiert mich nicht mehr. Jetzt. Der Moment ist es, der zählt.
Er zieht mich im Gehen immer wieder eng an sich und manchmal, wenn wir stehen bleiben, um uns zum Beispiel die dürren Figürchen in einem Schaufenster anzusehen, nackt, weiß und mit Engelsflügeln besetzt, dann legt er sogar sein Kinn auf mein Haar. Ich möchte dahinschmelzen. Er riecht so gut und ich merke, wie sehr die längst vergessenen Schmetterlinge in meinem Bauch aus ihrem Winterschlaf erwachen. Viel zu lange haben sie sich nicht mehr vom Boden erhoben. Doch jetzt – als würden sie wissen, dass es sich lohnt – flattern sie wie aufgeregt in meinem Bauch hin und her. Verrückt, aber genau das ist es, was mich hoffen lässt. Ich hebe den Kopf etwas und sehe John an. Er schaut mir geradewegs in die Augen. Bäm!
Das Himmelblau funkelt im Licht der Laterne noch intensiver als vorher und ich versinke darin. Die Stimmen um mich herum, der Trubel, die Lichter – alles blende ich aus und konzentriere mich nur auf ihn.
Er dreht sich unmerklich zu mir, legt die Arme um mich und senkt seinen Kopf. Und was dann geschieht, ist eine Explosion der Sinne! Ich kann nicht mehr klar denken, nur noch fühlen. Und das tue ich.
Meine Lippen nehmen seine auf wie ein Schwamm das Wasser. Meine Haut sehnt sich mehr denn je nach seiner Berührung, und als er mit seinen Fingerspitzen über meine Wange streichelt, bestehe ich nur noch aus Gänsehaut. Die Härchen auf meinen Armen richten sich auf,
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