Einmal Paradies und zurück
meinem Leben an meiner Beziehung zu ihm festmachen lässt. Peinlich ist nur die Frage, warum ich das so lange ausgehalten habe, warum ich all die Jahre bei ihm geblieben bin. Zu meiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, dass die Heiligen Drei Könige James bei seiner Geburt folgende drei Gaben in die Wiege gelegt haben: gutes Aussehen, Intelligenz und eine geradezu unheimlich Fähigkeit, sich charmant aus jeder unangenehmen Situation herauszuwinden, ganz egal, wie hoffnungslos sie aussehen mochte. Nach jedem Streit – und wir haben oft gestritten, das könnt ihr mir glauben – fand er irgendetwas, womit er mich zum Lachen bringen konnte, und peng!, schon war ich wieder dort, wo ich angefangen hatte: das bewundernde Schulmädchen, blind vor Liebe und bereit, jeden Scheiß mitzumachen.
Erstaunlich, dass man so in jemanden verliebt sein kann, den man eigentlich gar nicht besonders mag.
Es ist schon eine komische Situation – der letzte Freund, über den ich mit Dad geredet habe, war ein Typ, der mich zu seinem Abschlussball mitgenommen hat. Damals war ich siebzehn. (Später stellte sich heraus, dass der junge Mann schwul war, aber dafür kann ich ja nichts, oder?) Trotzdem kommt es mir total natürlich vor, ihm mein Herz auszuschütten. Eigentlich habe ich gar nicht vor, ihn so zu bequasseln, es kommt einfach aus mir heraus, ich weiß auch nicht, warum. Mal abgesehen davon, dass es sich gut anfühlt, endlich einen Zuhörer zu haben, der meine Leidensgeschichte noch nicht kennt.
»Hoffentlich nerve ich dich nicht zu sehr«, sage ich, aber Dad lächelt mich nur an.
»Charlotte, das unerforschte Leben ist nicht lebenswert.«
O mein Gott, ich hatte ganz vergessen, dass er immer solche inspirierenden kleinen Zitate auf Lager hat, die er mir und Kate gern an den Kopf geworfen hat, als wir noch klein waren. Wahrscheinlich in der leider irrigen Annahme, dass es unsere Bildung fördern würde.
»Mach ruhig weiter, Mäuschen. Irgendwann wird es besser, das versprech ich dir. Denk dran, du bist eine, die nicht klug, doch zu sehr liebte.« Vollkommen entspannt hört er mir zu und lässt mich einfach weiterreden, bis der Schmerz, der in mir brennt, ein bisschen abebbt. Zumindest für den Augenblick.
Aber da ist noch etwas, und das macht mir ernsthaft zu schaffen. Nämlich die Tatsache, dass ich hier beurteilt werden soll. Schon das Wort Bewertung jagt mir einen Angstschauer über den Rücken, hauptsächlich deshalb, weil ich in der Schule bei ungefähr jeder Prüfung versagt habe. Immer wieder komme ich darauf zurück, aber Dad wischt meine Sorgen beiseite, redet mir gut zu und beruhigt mich. Trotzdem … ich möchte nicht in die Hölle. Wenn ihr wüsstet, was Hitze und Schwefel mit meinen Haaren anrichten, würdet ihr das an meiner Stelle auch nicht wollen. Aber wenn ich es nun nicht in den Himmel schaffe? Was dann? Ich meine, ich muss ehrlich sein, und das letzte Mal habe ich eine Kirche bei Kates Hochzeit von innen gesehen. Und das ist drei Jahre her.
Mist.
Womöglich sitze ich echt in der Tinte. Es sei denn, es gibt so eine Art »Hölle auf Erden«-Ausgleichsplan, bei dem man mildernde Umstände kriegt für den ganzen Mist, den man auf der Erde mitmachen musste.
Andererseits ist die Verdammnis vielleicht gar nicht so schlimm, wie man immer behauptet. Vielleicht gibt es eine Chance, dass der Himmel sowieso mehr etwas für Leute ist, die … na ja, die himmlische Ziele anstreben. Ihr wisst schon: für die, die jeden Tag zur Messe gehen oder Gartenpartys am Nachmittag veranstalten oder im Fernsehen
Songs of Praise
anschauen und dabei eine schöne Tasse heißen Kakao trinken. Vielleicht kriegt die Hölle nur eine unfair schlechte Presse, und ist im Grunde ganz okay. Könnte sein, dass sie eher was für Leute ist, die gern Wodka trinken und rauchen und mit den falschen Männern ins Bett gehen. (Schuldig in allen Anklagepunkten.)
Dann fällt mir plötzlich etwas anderes ein. Angenommen, ich lerne Gott kennen. Den echten … Gott. Wenn ich mir vorzustellen versuche, wie er aussieht, habe ich nie das Bild eines freundlich strengen, bärtigen alten Manns in langen Gewändern und Sandalen vor mir, sondern immer Morgan Freeman aus
Bruce Allmächtig
. Soweit ich weiß, könnte Gott auch eine Frau sein, obwohl es höchst unwahrscheinlich ist, dass eine Frau so einen Scheißkerl erschaffen hätte wie James Kane. Auf jeden Fall würde ich ihm oder ihr ganz gern ein paar Takte dazu sagen. Ich meine, seien wir ehrlich:
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