Einmal Paradies und zurück
Gott hat mir seit Jahren übel mitgespielt. Man könnte beinahe meinen, er hat sich mit seinen heiligen Kumpels auf meine Kosten prächtig amüsiert. Als wäre ich in einer Soap die schusslige Hauptperson. Habt ihr das gestern gesehen, Jungs? Wie Charlotte ein gemütliches Dinner für zwei arrangiert und kocht, während ihr Freund mit ein paar Blondinen im Club rumhängt und wie ein hirngeschädigter Laboraffe Party macht. Das Beste daran ist, dass er sich nicht mal die Mühe macht, ihr eine SMS zu schicken, dass er nicht heimkommt. Zum Totlachen, echt!
Ich beschließe, meine Sorgen für den Augenblick beiseitezuschieben und es stattdessen zu genießen, dass ich wieder mit Dad zusammen sein kann. Wir plaudern noch eine Weile, dann ist das Rennen im Fernsehen vorbei, und eine ältere Frau mit einem sehr netten Gesicht schlendert zu uns herüber. Sie lächelt mich freundlich an und bittet Dad, uns miteinander bekanntzumachen. Seltsam, sie erinnert mich an jemanden, aber ich komme nicht drauf, an wen. Dann fällt es mir ein: Sie sieht aus wie ich, bis hin zu den Sommersprossen und den roten Haaren. Nur dass sie um die achtzig ist, mit einem Seitenscheitel und Stützstrumpfhosen.
»Das ist deine Großtante Martha«, sagt Dad, während wir uns höflich die Hände schütteln, als wären wir auf einer Cocktailparty für Tote.
»Charlotte, Liebes, als ich hierhergekommen bin, warst du noch ein Baby.« Sie zwinkert mir verschmitzt zu. »Aber ich hab dich immer im Auge behalten, weißt du. Ich freue mich sehr, dich hier zu sehen. Und falls du je Lust hast, ein paar Pfund auf ein Pferdchen zu setzen, dann komm einfach zu mir, ich kann dir gute Tipps geben.«
Der Himmel weiß, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, aber ich bin immer noch hier, Dad sitzt immer noch neben mir, wir unterhalten uns immer noch, und es tut mir überhaupt nicht leid, dass ich tot bin.
Na ja, das stimmt nicht ganz.
Versteht mich jetzt nicht falsch, ich will nicht undankbar sein, aber … das Ding ist, dass es nach einer Weile ein klitzekleines bisschen langweilig wird. Also, die sind alle total nett hier, und ich bin vielen Verwandten begegnet, von deren Existenz ich nichts wusste, weil sie schon seit Jahrzehnten tot sind, die eigens in diesen seltsamen Bewertungsbereich gekommen sind, um mich zu begrüßen. Einige von ihnen kommen mir vage bekannt vor, wie beispielsweise Dads Großvater, der im irischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen ist. (Nichts Dramatisches, kein Exekutionskommando im Morgengrauen oder Ähnliches, nein, der Dummkopf ist ohne Schal rausgegangen und hat sich eine Lungenentzündung geholt.) Von anderen habe ich noch nie gehört, aber sie haben die gleichen widerspenstigen roten Haare und Sommersprossen wie ich. Ihr solltet uns mal alle zusammen sehen. Fünf Generationen Weasleys. Ich bin von so viel Familie umgeben, dass es mir vorkommt wie permanentes Weihnachten, allerdings ohne die Geschenke und die unvermeidlichen Streitereien, ob man sich
Sound of Music
oder
Fluch der Karibik
anschaut.
Alle sind so nett und haben interessante Geschichten zu erzählen, es ist bloß … na ja, wisst ihr, sie sind alle sehr viel älter als ich. Nicht dass ich mich beklagen will, keinesfalls, aber … sie verbringen ihre meiste Zeit mit Fernsehen, mit Bingo oder manchmal, sozusagen als Höhepunkt der ganzen unerträglichen Spannung, auch mit Bridge. Alles wunderbar eigentlich. Aber inzwischen, nachdem ich eine Weile hier bin, frage ich mich allmählich, ob ich in diesen Kreis reinpasse. Ich weiß nicht, wie ich mir das Leben im Jenseits eigentlich vorgestellt habe, aber Treppenlifte und alte Fernsehserien habe ich wirklich nicht erwartet. Und auch keine ältere Dame mit einem Schlapphut, die mit einem Corgi im Schlepptau und einem Gin-Tonic in der Hand umherwandert und aussieht wie die Queen Mum.
Ich glaube, ich habe eher erwartet, mit Prinzessin Diana oder Elvis rumzuhängen. Oder mit Kurt Cobain oder John Lennon. Aber die haben ihre Bewertung wahrscheinlich schon vor Jahren erfolgreich hinter sich gebracht und machen jetzt irgendwo Party mit den ganzen coolen jungen Toten. Während ich aus irgendeinem Grund im Rentner-Florida des Jenseits hängengeblieben bin.
Inzwischen kann Dad meine Gedanken ohne jede Mühe lesen.
»Ist nicht wirklich was für dich hier, stimmt’s, mein Mäuschen? Ich weiß, es ist schwierig, weil du so jung bist, aber du musst wissen, dass das hier für alle anderen Anwesenden wie eine Party ist.«
Mist. Er hat
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