Einmal Paradies und zurück
mich durchschaut. Ich zermartere mir das Hirn nach einer höflichen Formulierung für … ja, wofür eigentlich? Dass ich meine Zeit auf der Erde verpfuscht habe und sich jetzt herausstellt, dass das Jenseits auch nicht so der Bringer ist?
»Noch etwas solltest du bedenken«, fährt er fort, ohne das Gesicht zu verziehen – aber Mum hat schon immer gesagt, dass man manchmal Freud persönlich sein muss, um rauszufinden, was er denkt. »Nur so zum Zeitvertreib.«
»Ja?«, sage ich und überlege krampfhaft, was er wohl meinen könnte. Vielleicht dass ich es mal mit der Hölle versuchen soll?
»Ich könnte möglicherweise etwas für dich arrangieren. Ist nicht für jeden geeignet, aber es gibt da einen freien Platz …«
Er schaut mich an, und in seinen Augen erkenne ich ein verräterisches Funkeln, so, als würde ihm das, was nun kommt, schon eine ganze Weile im Kopf herumgehen.
»Charlotte, Mäuschen, vielleicht hättest du ja Lust, ein äh … na ja, ein Praktikum zu machen? Ein bisschen ehrenamtliche Arbeit?«
Klingt nicht schlecht. Ich meine, niemand scheint zu wissen, wie lange diese Überprüfung eigentlich dauern wird. Ich habe so viel Zeit zur Verfügung, also kann ich ruhig etwas damit anfangen. In der Schule musste ich manchmal samstags im Altenheim aushelfen, meistens zur Strafe, weil ich mal wieder etwas ausgefressen hatte. Ihr wisst schon, Tee kochen und Sandwiches streichen, den alten Leuten aus dem Rollstuhl helfen, nachschauen, ob alle die richtigen Medikamente haben, schlichtend eingreifen, wenn es Unstimmigkeiten bei der Wahl des Fernsehprogramms gibt. Lauter solche Sachen. Zwar hätte ich nicht gedacht, dass so etwas auch im Jenseits gemacht wird, aber man lernt bekanntlich nie aus. Wenn ihr meint, das Leben ist voller Überraschungen, dann solltet ihr mal sehen, was der Tod so alles zu bieten hat.
»Ja, gern«, antworte ich und lächle Dad an. Ich freue mich, dass es eine Möglichkeit gibt, der Monotonie zu entfliehen und mich zur Abwechslung mal ein bisschen nützlich zu machen. Außerdem – wenn tatsächlich eine höhere Macht gerade dabei ist, mein trübsinniges kleines Leben zu bewerten, könnte es ja sein, dass es sie ein wenig gnädiger stimmt, wenn ich Einsatzbereitschaft zeige. Dass ich dann sozusagen einen Stein im Brett habe.
»Sehr gern sogar.«
Kapitel 3
Fragt mich nicht, wie es dazu gekommen ist, aber auf einmal sitzen Dad und ich in einem Raum, der aussieht wie das Büro eines Kundenberaters in der Bank. Eng und ein bisschen finster, Drehstühle mit Lederbezügen, ein Aktenstapel auf dem Schreibtisch und ein im Hintergrund unablässig klingelndes Telefon. Im Ernst, ich kriege beinahe das Gefühl, dass ich gleich einen Kreditantrag zum Ausfüllen vorgelegt kriege. Uns gegenüber sitzt eine ältere, freundliche Frau hinter einem Computer und unterhält sich mit … ja, mit wem eigentlich? Ich sehe niemanden. Die Frau macht einen munteren, freundlichen Eindruck und erinnert mich an eine Stewardess von Aer Lingus, von der Sorte, die mit einem verschmitzten Zwinkern eine kleine Flasche Chardonnay von ihrem Rollwägelchen holt, ohne etwas dafür zu verlangen. Sie hat runde rosa Bäckchen und ist von Kopf bis Fuß in Pink gekleidet wie ein menschlicher Marshmallow. Himmel, sogar ihre Brille hat ein rosa Gestell. Hie und da fasst sie die andere Seite des Gesprächs für mich und Dad zusammen – wie beim
Eurovision Song Contest
, wenn die Wertung von der Ukraine reinkommt.
»Entschuldigung«, sagt sie und lächelt. »Ich muss nur schnell was Dringendes in Ordnung bringen, aber dann bin ich gleich für Sie da.« Dann spricht sie wieder mit der Luft. »Gabriel, du solltest eingreifen, ehe die Sache hochkocht. Nummer 742 weiß echt nicht mehr weiter, sie hat Alarmstufe rot durchgegeben …«
Ich werfe Dad einen fragenden Blick zu, aber er schaut nur geradeaus, gelassen wie immer.
»Hat sie grade Gabriel gesagt?«, frage ich ihn leise. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen. »Meint sie damit etwa DEN Gabriel?«
Keine Antwort.
»Dad? Redet sie mit dem Erzengel Gabriel?«, zische ich.
Jetzt runzelt er die Stirn ein bisschen, als wollte er mich zum Schweigen bringen, starrt aber weiter stur geradeaus. Herr des Himmels, er hätte seine Berufung auch als Pokerspieler erfüllen können.
»… nein, nein, sein Schützling sitzt jetzt in seinem Auto am Ende eines Piers und überlegt … na ja, sagen wir, er ist auf dem absoluten Tiefpunkt, und ich glaube, wir brauchen
Weitere Kostenlose Bücher