Einmal Paradies und zurück
bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und mich dann ganz cool gefragt, wann ich bereit bin auszuziehen.
Aus
SEINEM
Haus. Nur damit da kein Irrtum aufkommt.
»… er hat sogar gesagt, dass er versuchen will, nachher noch vorbeizuschauen …«
Na toll, genau das hab ich noch gebraucht.
Dann kommt wohl meine Mum zurück ins Zimmer, denn Fiona wechselt elegant das Thema und fährt in ihrer schönsten Lehrerinnenstimme fort: »… jedenfalls hat mir wie gesagt das Foto und das Profil von diesem Typen supergut gefallen, und wir haben unsere Telefonnummern ausgetauscht. Momentan liegt die Anruffrequenz bei zweimal die Woche, was ich ziemlich vielversprechend finde. Ich weiß ja, dass du das ganze Onlinedating nicht leiden kannst, Charlotte, aber sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Ich hab Cellulitis, und das ist Gottes Methode, einem Menschen zu sagen, dass es Zeit ist, endlich eine feste Beziehung einzugehen.«
Mum hasst es nämlich, wenn jemand in ihrer Gegenwart auch nur James’ Namen in den Mund nimmt.
Und das sagt eine ganze Menge. Glaubt mir, momentan würde sie sich mit fast jedem Mann abfinden, solange ich mit ihm glücklich wäre und ein geregeltes Leben führen würde. Das heißt, mit jedem außer James Kane natürlich. Erst vor ein paar Tagen hat sie mich nicht sonderlich subtil darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Biogemüselieferant sich gerade von seiner Frau getrennt hat. Und der ist fünfzig und nahezu zahnlos.
Versteht mich nicht falsch, meine Familie und meine Freunde sind durchaus nett zu James – jedenfalls in seiner Gegenwart –, aber tief im Innern war mir immer klar, dass sie ihn nur mir zuliebe tolerieren. Er selbst hat überhaupt keine Freunde, nur »Bekannte zweiter Wahl und Interessenten«, wie er es ausdrückt. Ein weiteres Warnsignal, das ich tunlichst ignoriert habe. In völlig unangebrachter Loyalität habe ich gedacht, dass es für normale Menschen ja wahrscheinlich auch echt schwierig ist, sich mit einem supererfolgreichen Produzenten anzufreunden, der ganz nebenbei Filmangebote verteilt, Kneipentouren mit Colin Farrell macht und Bono mal eben fünfzig Euro fürs Taxi leiht. Außerdem, so hab ich mir immer gern eingeredet, außerdem kannte ja niemand außer mir James’ wundervolle Privatpersönlichkeit. Wenn ihr wüsstet, wie oft ich Sätze wie »Wir, Probleme? Wie kommst du denn auf so eine absurde Idee?« von mir gegeben habe – bei den unterschiedlichsten Anlässen.
Und dann finde ich in der Unfallnacht auf die gemeinste Weise, die man sich vorstellen kann, heraus, dass alle anderen recht hatten. Offenbar war der Kerl die ganze Zeit ein Arschloch.
Und da ist noch etwas, aber es will mir einfach nicht mehr einfallen, so sehr ich mir auch das Hirn zermartere. Ich irre wie im Nebel durch die chaotischen Rumpelkammern meines Kopfs, taste umher und suche … ohne den geringsten Erfolg. Je mehr ich mich anstrenge, desto mehr entzieht es sich mir. Ich weiß nur, dass es etwas sehr Schmerzhaftes ist, so schmerzhaft, dass ich es verdrängt und unter dem Etikett: »Später erledigen, bodenlos schlimm« archiviert habe. Aber jetzt liege ich hier im Bett herum und hätte alle Zeit der Welt, und es ist weg. Typisch. Ich habe sowieso nicht das allerbeste Gedächtnis der Welt. Ich meine, ich kann mir schon Kleinigkeiten nicht merken und muss überall im Haus gelbe Klebezettel aufhängen. Auf denen stehen dann gekritzelte Ermahnungen wie: »Müll rausbringen! Sky Plus einstellen,
Grey’s Anatomy
aufnehmen! Putzmittel kaufen!« Entsprechend schwierig ist es also, mich an ein wichtiges Ereignis aus jüngerer Zeit zu erinnern. Kann gut sein, dass ich monatelang hier rumliege und mir den Kopf zerbreche. Am Ende stellt sich noch heraus, dass ohne Hypnose gar nichts mehr geht.
Keine Ahnung, wie lange ich abdrifte, aber das Nächste, was an mein Ohr dringt, ist amerikanisches Gebrabbel. Das ganze Zimmer ist voll davon: Zuerst zwei laute Frauenstimmen, die damit drohen, der jeweils anderen den Kopf abzureißen, weil die eine mit dem Exmann der anderen eine Affäre hat, dann ein Kerl, der verkündet, dass seine Mutter, die er für tot gehalten hat, in Wirklichkeit lebenslänglich im Gefängnis sitzt … ach du Scheiße, als hätte ich sonst keine Sorgen! Was ist hier los? Sind irgendwelche Irren in die Klinik eingedrungen? Werden sie gleich anfangen, sich über meinen armen lädierten Kopf hinweg mit dem Mobiliar zu bewerfen? Oder meine guten Medikamente und Spritzen aus dem
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