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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Standard-Uniform eines südstaatenrockseligen Hippies entstammen. Der Kaschmir-Schal und die italienischen Schuhe gehören eher zum Popper-Dress. Die kurzen braunen Haare streichen einen weiteren konzertanten Mißton in den psychedelischen Sirar-Sound seiner Kleidersinfonie, die vollends zur Kakophonie wird, wenn man den Matchsack mit den bunten Sternchen, die türkisfarbenen Schnürsenkel mit goldenem Blitzmuster und das Fünfziger-Jahre-Hemd mit Flugzeugen, Ozeanriesen und Straßenkreuzern gewahr wird.
    Eine wandernde Zitatensammlung. Sig hat den Humor da, wo andere Leute den Geschmack haben. Und andersrum. Aber er hat auch einen Plan. So wie die Pfauenaugen hungrigen Vögeln vormachen, sie seien gar kein Schmetterling, sondern ein noch viel hungriger und größerer Vogel, will Sig den Menschen vormachen, er sei ein heimatloser Desperado, der die verschiedensten Uniformteile übereinander trägt, weil er in all diesen Kriegen mitgekämpft hat. Als Souvenirs.
    Dabei war er weder im Hippie-Krieg, noch beim Vespa-Turnier der Teddyboys noch sonst irgendwo. Alle diese Glaubensaufwände gingen an ihm vorbei wie ein Vorfilm zum echten Leben.
    Auf den Hauptfilm wartet er noch immer, und ob er darin vorkommen wird, weiß er bis heute noch nicht.
    Vielleicht stimmt sogar deshalb die Botschaft seiner irren Kleidung. Er ist ein Desperado. Er gehört nirgends dazu. Er ist knapp sechzig Jahre zu spät auf der Welt.
    Geradeaus bis zur Fußgängerzone, dann zweimal rechts und dann beim Theater noch mal fragen, hat Gerd gesagt. Da sei ein billiges Hotel. Sig probiert den Tip, obwohl er Gerd nicht leiden kann. Schon auf der Akademie konnte er ihn nicht leiden, aber er war ihm zu Dank verpflichtet. Gerd hatte ihn mal vor einer Schlägerei bewahrt. Bei einer Ausstellung im Malersaal hatte er drei Kommilitonen gereizt. Er hatte geglaubt, ihnen erklären zu müssen, daß es keine Kunst sei, ein Teebeutel und zwei Rosenzweige auf dem Boden, zwölf Fernseher an der Wand und eine nackte Frau mit Irokesenschnitt, die in einer Badewanne liegt und dauernd die Worte wiederholt «Vergessen-essen, erinnern, eräußern»… Oder jedenfalls keine gute Kunst.
    Sig hatte gesagt, es sei einfach nur schwer dämlich, so etwas zu machen. Die Kommilitonen gingen auf ihn los. Hätte Gerd, der Tutor dieser Klasse, nicht eingegriffen und ihnen erklärt, so eine Reaktion sei doch genau das, was sie erreichen wollten, dann hätte sich Sig bestimmt als Teil des Environments in der zersplitterten Bildröhre eines der Fernseher wiedergefunden.
    Seitdem hielt Gerd den Kontakt warm. Sig fragte sich oft, warum, denn er konnte sich nicht vorstellen, was Gerd mit ihm anzufangen wissen sollte. Vielleicht gefiel es ihm, sich mit der Bekanntschaft eines armen Malers vor der Banalität seiner eigenen Existenz als reicher Maler zu schützen. Dabei ist doch die Erfolglosigkeit genauso banal. Vielleicht hielt sich Gerd einfach für moralisch ganz toll intakt oder glaubte, so eine Freundschaft mache sich später einmal gut in seiner Biografie.
    Gerd ist ein Streber. So einer, der sich gleich in die Klasse des berühmtesten Professors einschreibt, damit seine Arbeiten schon im vierten Semester in irgendwelchen Schulen, Krankenhäusern oder Hallenbädern gezeigt werden. Und natürlich werden diese Arbeiten auch fleißig gekauft von Stadtverwaltungen, Kirchengremien und Kultusministerien. Der Name des berühmten Professors bürgt ja für Qualität. Was all diese Käufer nicht wissen, ist: je berühmter der Professor, desto weniger Zeit hat er für seine Schüler. Er fliegt vielleicht nur zweimal im Semester zu einem Schulterklopf-Termin ein und widmet sich ansonsten seiner Arbeit in Wien, New York oder London. Sonst wäre er nicht berühmt.
    Sigs Professor war ein guter Lehrer, aber an Ruhm nicht interessiert. «Ich arbeite für meine Gedächtnis-Ausstellung», sagte er gern auf entsprechende Fragen.
    Gerd ist nicht der einzige Mensch, den Sig nicht leiden kann. Eigentlich sind es nur sehr wenige, die er noch mag. Bis er fünfzehn war, hatte er gedacht, er müsse jeden Menschen lieben. Überhaupt müsse jeder Mensch jeden Menschen lieben. Das gab sich aber bald, denn, nachdem er erst mal Herrn Dilger, seinen Turnlehrer, eindeutig von dieser Regel ausnehmen mußte, kam eine Lawine ins Rollen, die nicht mehr aufzuhalten war.
    Herrn Dilger folgten in immer kürzeren Abständen der Weihnachtsmann (Sig war ein Spätentwickler), der Frauenarzt, der Sabine die Pille nicht verschrieb,

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