Einsame Herzen
Lorelle da auch schon ungeduldig nach ihr. "Wir warten draussen auf dich!"
Danielle warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel. Ihre Lider und die Lippen waren in einem zarten Rosa geschminkt. Sie hatte die Augen mit Kajal nachgezogen. Danielle war zufrieden mit sich. Sie schnappte sich ein paar silberne Ohrringe, die sie sich auf dem Weg zur Haustür ansteckte. Bevor sie in den Garten trat, schlüpfte sie in ein paar Riemchenschuhe mit hohen Absätzen. Dann stolzierte sie ins Freie.
Nicht nur Lorelle, auch Emma und Louise starrten sie an, als käme sie von einem anderen Planeten. Danielle lächelte ein breites, siegesgewisses Lächeln. "Worauf warten wir noch? Lasst uns fahren!"
Danielle hatte das Fenster heruntergelassen und liess sich den frischen Fahrtwind ins Gesicht wehen. Lorelles zornige Worte hatten die Wirkung eines kräftigen Schlages gehabt. Danielle war endlich aus ihrer Lethargie erwacht. Sie fühlte sich zwar nicht richtig gut und wusste instinktiv, dass sie sich auch heute Abend wie immer in den Schlaf weinen würde. Aber zumindest entzog sie sich dem Leben nicht mehr, nahm wieder daran Teil und sah ein, dass sie nicht alleine lebte auf dieser Welt.
Danielle wusste nicht, was sie die vergangenen Wochen ohne Lorelle gemacht hätte. Ihre Schwester hatte sich um alles gekümmert: Sie hatte Danielle mit der Anmeldung für die Hochschule geholfen, hatte ihr dabei geholfen, auf den September eine Wohnung zu finden, hatte Emma und Louise auf der öffentlichen Schule angemeldet und sich hingebungsvoll um die Kinder gekümmert. Gleichzeitig hatte sie immer versucht, zu ihrer Schwester durchzudringen, hatte versucht in Erfahrung zu bringen, ob auf dem Feuerberg etwas Traumatisches geschehen war.
Danielle hatte mit Lorelle kaum über den vergangenen Winter gesprochen. Von Emma und Louise wusste Lorelle jedoch, dass sie den Winter zusammen mit einem Mann verbracht hatten, der "ganz in Ordnung war", wie Emma erklärt hatte. Lorelle hatte Danielle auf diesen "Mann" angesprochen, doch Danielle hatte sich stets abweisend verhalten. Lorelle aber war nicht dumm. Sie ahnte wohl, dass der Grund für das untypische Verhalten ihrer Schwester bei dem Mann gefunden werden konnte.
Danielle schloss die Augen, streckte den Kopf aus dem Wagen und liess sich den Wind übers Gesicht streichen.
Bis später!
Noch immer zog sich ihr Herz bei der Erinnerung an diese Worte krampfhaft zusammen und weinte stumme Tränen.
Mehr hatte er nicht gesagt. Mit diesen beiden Worten hatte er sich von ihr verabschiedet, nachdem sie beinahe ein halbes Jahr zusammen gelebt hatten. Danielle konnte es noch immer nicht verstehen. Sie wusste ja, dass er sie nicht geliebt hatte, aber rechtfertigte dies einen solch herzlosen, kalten Abschied?
Bis später hatte er gesagt, sein Gewehr geschultert und sich in den Wald aufgemacht, im Wissen, dass sie und die Kinder bei seiner Rückkehr längst fort sein würden. Kein "Ich wünsche dir alles Gute", kein "Ich hoffe, wir sehen uns wieder" und schon gar kein Zugeständnis, das ihm der Winter mit ihr gefallen hätte. Für Darko war es wohl nur ein Winter gewesen wie jeder andere auch. Ein Winter, der sich nur durch die körperliche Vereinigung mit ihr unterschieden hatte, was für ihn wohl eine angenehm Abwechslung, aber kein bedeutungsvolles Ereignis dargestellt hatte.
Darko hatte gewusst, dass sie aus seinem Leben verschwinden würde, sobald es das Wetter erlaubte und hatte sich entsprechend nüchtern von ihr verabschiedet. Wenn sie insgeheim doch auf süsse Worte, Worte der Trauer und des Schmerzes oder gar auf ein Liebesgeständnis gehofft hatte, so hatte sie sich mächtig getäuscht. Darko Coda hatte ihn ihr nichts anderes gesehen als die Möglichkeit, den Winter in ungewohnter weiblicher Wärme zu verbringen. Bestimmt hatte er sie noch am Tag ihres Aufbruches vergessen, während sie...
Danielle erinnerte sie sich nur zu gut daran, wie ihr heisse Tränen über die Wangen gekullert waren, als sie gepäckbeladen durch den weichen, nassen Schnee des Felsenpfades gestampft war und eine Spur für die Kinder gelegt hatte. Sie hatte lautlos geweint, um ihren Gefühlsausbruch vor den Kindern verborgen zu halten. Als sie nach über einer Stunde endlich ihren Wagen erreicht hatten, hatte sich Danielle die Tränen schnell mit dem Mantelärmel abgewischt. Die Kinder hatten gejubelt, als sie den Wagen entdeckt hatten, den Danielle an der Strasse parkiert war, die nach Domens führte, ins nächstgelegene
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