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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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vorgegangen.
    Seltsam, daß Swentja immer noch keine Schambehaarung besaß. Mit
fünfzehn. Sie darauf anzusprechen hätte er sich nie getraut. Irgendwann in den
nächsten Wochen würde er Swentja seinen Eltern vorstellen, damit die mal eine
Meinung zu ihr bekommen würden, ihm war enorm wichtig, was seine Eltern über Swentja
dachten. Wenige Söhne, in dieser gottverlassenen Zeit, hatten ein ähnlich
pflichtbewußtes Verhältnis zu ihren Erzeugern, er war stolz darauf, anders zu
sein, seinem Papa und seiner Mama in jeder Hinsicht vertrauen zu können. Er war
sicher, daß beide Swentja großen Herzens, mit offenen Armen, annehmen, in die
Familie integrieren würden, alles würde gut werden, geregelt. So schön würde
das sein.
    Eines Tages würde er sich sogar vor ihr, seinem erwählten Mädchen,
ausziehen können, wenngleich sich das vorzustellen die Kräfte seiner mal
schwachen, mal wild ausufernden Phantasie beinahe überstieg.

7
    Ümal Nurbekoglu war immer noch außer sich vor Wut, als er
im Untergeschoß des Bielefelder Saturn-Hansa seine fünf allerbesten Freunde
traf.
    »Ey, ihr glaubt nich, was mir heut in der Trambahn passiert is!«
    Er versuchte, die Geschichte irgendwie so zu erzählen, daß sein
Renommee nicht allzugroßen Schaden nahm. Relativ spät begriff er die
Schwierigkeit dessen, denn er war, harter Fakt, von einer Frau geschlagen worden.
Klares No-Go. Das wem als plausibel zu verklickern, forderte Rhetorik. Aber der
Drang, sich mitzuteilen, wog schwerer als die Möglichkeit einer Blamage. Er
konnte nun keinen Rückzieher machen, seine Freunde sahen ihn an, gespannt, und
lauschten seiner Schilderung.
    »Ich steh da, Quatsch, ich sitz da, denk mir nichts Böses, kommtn
Typ und labert mich blöd an, ich soll nich aufn Boden spucken, denk ich mir,
ist das dem sein Boden? Geb ich ihm Kontra, er soll sich gefälligst mal ins
Knie ficken. Dann stellt sich raus, der Typ, war schon alt, knapp an die
fuffzig, kein Gegner – rein physisch –, der hatn Bodyguard dabei. Die beiden
gehn auf mich los, wie die Geisteskranken. Ich hau dem alten Typen in die
Fresse, aber der Bodyguard packt mich von hinten, würgt mich, daß mir Hören und
Sehen vergeht, boxt mir in die Nieren, ich dachte, ich sterb. War voll krass,
der alte Typ blutet mir die Schuhe voll, ich seh sein Gesicht vor mir, er
sabbert Blut und lallt was von Scheiß-Türke, und der Bodyguard hält mich fest,
dreht mir die Luft ab. Ich greif zu meinem Messer, war voll berechtigt, zwei
gegen einen, stoß ihm das Messer in die Hand auf meinem Mund. Da läßt er los,
jault, blutet wie Sau – und ich – ich denk mir – wird verdammt alles
videoüberwacht, heutzutage, besser raus aus der Tram, und schnell. Rechnung
bleibt offen. Naja, das ist die Story. Suchen mich jetzt die Bullen?«
    Ümals fünf beste Freunde sahen sich den Blutfleck auf seinen weißen
Basketballschuhen an und wollten wissen, ob das Blut nun von dem alten Typen
oder vom angestochenen Bodyguard stammte. Ümal genoß das Mitgefühl seiner
Kumpel. Er war in ihrer Achtung keineswegs gesunken, wie er zwischendurch
befürchtet hatte. Alle attestierten ihm Umsicht, es sei konkret richtig
gewesen, die Trambahn zu verlassen. Rache könne man später noch an einem
weniger überwachten Ort üben. Sofern man das wolle. Und die beiden Arschlöcher
noch mal vor die Linse bekäme.

8
    Johnny hatte einen Tick.
    Immer wenn er eine Frau mit Kinderwagen sah, dachte er: Diese Frau muß,
vor nicht allzulanger Zeit, Geschlechtsverkehr gehabt haben. Muß begangen
worden sein vom Gatten. Oder sonstwem. Prompt spazierte Johnny der Frau eine
Weile lang hinterher, mit staunendem Blick, als ob man sich über soviel
freizügig zur Schau getragenes Intimleben nicht genug wundern könne.
    Wenn ich mal Geschlechtsverkehr haben werde, möchte ich nicht, daß
jemand davon was mitbekommt. Niemandem erzähle ich davon. Am besten wärs, wenn
es keinen einzigen Zeugen gäbe und die Frau, mit der ich das mache, ohnmächtig
wäre. Sie soll es schon wollen, dann aber, wenn ich mich ausziehe, ohnmächtig
werden vor Freude, schöne Träume haben – und erst aufwachen, wenn es vorbei
ist.
    Johnny kam allmählich zur Überzeugung, daß viel mehr Menschen
Geschlechtsverkehr ausübten, als er sich ausgemalt hatte, Türken besonders,
denn türkische Frauen schoben in seiner Wahrnehmung überproportional viele
Kinderwagen vor sich her. Diese Frauen kleideten sich so züchtig, viele trugen
Kopftuch, manche sogar noch einen Schleier

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