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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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drückte auf
Wahlwiederholung.
    »Ja?«
    »Swentja noch mal. Paß auf! Du kannst heut abend zu mir kommen,
meine Eltern sind im Tanzclub. Du kommst um acht und gehst um neun.«
    »Geht klar. Wo wohnst du?«
    Swentja nannte ihre Adresse in der Katzbachstraße. Heute abend würde
sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, geleckt werden – und sogar noch Geld dafür
bekommen. Die Aussicht erregte sie so sehr, daß sie den Rest des Tages keinen
klaren Gedanken fassen konnte.

11
    15:00
    Ekkehard Nölten hatte vor dem Regal mit den
Cauldron-Chips, die Minnie so sehr mochte und von denen er ihr manchmal eine
Tüte als Geschenk auf den Tresen legte, einen Anfall von Weltschmerz und Wut
bekommen. Hatte eine Angestellte drum gebeten, sie solle den Geschäftsführer
herholen, denn er war nicht willens, seinen heiligen Zorn an irgendwem auszulassen. Der Mensch, der ihm dann entgegentrat, sah zu jung aus, kaum
dreißig, um wirklich wichtig zu sein. Aber bitte – wenn er sich dennoch als
wichtig ausgab, sollte er fortan dafür gradestehen.
    »Darf ich Sie was fragen?«
    »Sehr gern. Womit kann ich dienen?«
    »Sie sind der Geschäftsführer von diesem Laden?«
    »Bin ich.«
    »Und Sie legen fest, welches Warensortiment bestellt wird?«
    »Worum gehts denn?« Der junge Mensch, auf seinem Namensschild stand König ,
wirkte bereits ungeduldig, sah auf seine Uhr. Eine Frechheit.
    »Warum bitte – sehen Sie, ich habe eine Bekannte, der ich hin und
wieder diese guten Chips schenke – und ich war vor zwei Monaten in London …«
    »Aha!«
    Der Typ schnauzte dieses sinnlose Unterbrechungs-Aha, als würde er
bereits daran zweifeln, daß Ekki Berlin je verlassen hatte. Ekki war auch nicht in persona in London gewesen, aber im Internet auf der Website von Royal Cauldron, was
heutzutage ja fast dasselbe ist. Und der Besuch eines Internetcafés hatte ihn
mehr Überwindung gekostet als andere ein Trip nach Nahost.
    »Ich war in London«, insistierte er trotzig. »Dort gab es die neuen
Cauldron-Chips-Sorten Yoghurt & Coriander und Caribbean Spices bereits
in jedem Laden – warum, sagen Sie es mir – es waren die besten Chips, die ich
je gegessen habe –, warum komme ich heute zu Ihnen, und Ihr ärmliches Sortiment
in Ihrer aufgehübschten Feinkostabteilung hat die beiden Sorten immer noch
nicht in den Regalen? Sagen Sie mir das!«
    Nölten kochte, er steigerte sich hinein, redete sich in Rage. So
oder auch nur ähnlich hatte ihn die Welt bisher nicht zu sehen bekommen.
Seltsamerweise empfand er selbst ganz genau, daß das, was er von sich gab,
ungerecht und übertrieben, ja an den Haaren herbeigezerrt war. Aber die Wut,
jene numinose Energie, machte es möglich, daß er einfach weiterreden konnte,
ohne durch irgendeine Hemmung an Fahrt zu verlieren.
    Der Geschäftsführer runzelte die Stirn und meinte bedauernd, daß die
Firma Royal Cauldron die angesprochenen Sorten wohl zuerst nur in England auf
den Markt bringen und testen würde, bevor man sie auf den Kontinent exportiere,
er müsse sich da noch ein paar Wochen in Geduld üben.
    »Ach so ist das? Aber im Kadewe, Herr König, da liegen sie schon,
die neuen Sorten, da hab ich sie gesehen, gestern!«
    Was eine glatte Lüge war.
    »Und warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sie dann nicht gekauft,
im Kadewe?«
    Nölten starrte den Geschäftsführer an, als habe der ihn ob seiner
Armut beschimpft.
    »Weil ich meine Chips lieber hier kaufe, Sie Idiot, aus
Lokalpatriotismus! Nein, natürlich weil das Kadewe immer noch siebzig Cent pro
Tüte draufschlägt. Haben Sie das hören wollen, ja? Daß siebzig Cent für mich
eine Rolle spielen? Wollten Sie das hören?«
    Uwe König zupfte ein Staubkorn vom Ärmel seines Sakkos. Verrückte
wie den da war man in der Gegend gewohnt.
    »Ich kann Ihnen Folgendes anbieten: Hinterlassen Sie mir Ihre
Adresse, und ich informiere Sie persönlich per Mail, sobald die neuen Sorten
auch bei uns eingetroffen sind.«
    »Schicken Sie mir lieber einen Brief, Mensch! Ich habe überhaupt
keine Mail-Adresse! Wollten Sie das hören? Daß ich quasi virtuell obdachlos
bin? Mailunzustellungsfähig? Geht es Ihnen jetzt besser, Herr König?«
    »Ich glaube, Ihr Problem liegt tiefer, Herr …«
    »Nölten. So heiß ich. Ich hab einen Namen, geht das in Ihren
Schädel? Gönnen Sie mir diesen Besitz?«
    »Mehr kann ich Ihnen dazu leider nicht sagen. Wir bedauern sehr, daß
wir Ihren Wünschen nicht hundertprozentig entsprechen können.«
    »Ach, tust du das? Benutzt du jetzt den

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