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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Gesicht.«
    Julia überlegte. Der Kerl trieb sie in den Wahnsinn. Sie wollte ihn
so sehr – und er, dieser seltsame, undurchschaubare Mensch, legte immer noch
eine Schippe Undurchschaubares drauf. Sie rang mit sich.
    Nein. Eine Julia König konnte sich von einem solchen Subjekt keine
Bedingungen diktieren lassen. Sie drückte Vincent zwei Hunderter in die Finger,
er möge seine Scheißkamera nehmen und das Weite suchen.
    »Sind Sie sicher, daß Sie das wollen?«
    »Nein, bin ich nicht. Herrgott, was sind Sie für ein Drecksmensch!«
    Sie preßte sich an ihn und küßte seine Wangen. Er stand da, wie eine
Säule, regungslos, ließ alles, sozusagen, an sich abtropfen. So standen sie
eine ganze Weile nebeneinander. Und es gab keine Lösung.

14
    Nabel kam gegen 19 Uhr am Tatort an und wurde von seinem
Assistenten in groben Zügen informiert. Es müsse eine gewaltsame
Auseinandersetzung zwischen zwei Punks gegeben haben. In dem leerstehenden Haus
halte sich einer der beiden mit einer Geisel verschanzt. Der Typ heiße wohl
Holger, und die Frau, mit der er den Streit gehabt habe, Sibylle, die sitze da
am Gehsteig und heule.
    Nabel ging zu ihr, reichte ihr die Hand, die sie nicht annahm.
    »Was ist passiert?«
    »Er ist komplett verrückt! Er sagte, es darf niemand zwischen uns
stehen, nie mehr. Er hat sich Chrissie geschnappt und sich da drin eingeschlossen.
Ich fürchte, daß er ihr was antun wird!«
    »Ist er bewaffnet?«
    »Der Kerl IST eine Waffe. Er hat ein Messer,
glaub ich.«
    »Wie alt ist diese Chrissie?«
    »Drei, dreieinhalb. Vielleicht vier. Ich weiß nicht genau.«
    Nabel stöhnte leise. Nicht schon wieder ein Kind.
    »Sie wissen es nicht genau? Sind Sie mit ihr verwandt?«
    Sibylle stutzte, sah den Kriminaler zum ersten Mal an. »Verwandt?
Nö.«
    »Mit wem ist sie denn verwandt?«
    »Weiß ich doch nicht.«
    Das Mädchen schien unter Schock zu stehen. Nabel sah, in fünfzig
Meter Entfernung, einige andere Punks auf dem Nachbargrundstück sitzen und Bier
trinken. Manche schienen gut gelaunt und palaverten. Tiefer Ekel überkam ihn,
als er jene Gestalten betrachtete, die die Ruhe weg hatten und sich wohl noch
irgendeine Art von Spektakel versprachen.
    Zum Kotzen.
    In diesem Moment dröhnte aus dem Haus eine Stimme. » DIE BULLEN SOLLEN VERSCHWINDEN !«
    Nabel wandte sich an den Einsatzleiter. »Was ist da drin genau
geboten?«
    »Naja«, erwiderte der noch junge, etwas nervös wirkende Mann, »der
Geiselnehmer befindet sich in einem abgetrennten, verschließbaren Raum, die
beiden Fenster sind von innen mit Brettern vernagelt. Wir können stürmen oder
abwarten. Davonlaufen kann er uns jedenfalls nicht.«
    »Haben Sie Scharfschützen angefordert?«
    »Wie bitte? Nein. Ich habe hier fünf Leute mit Westen und Helm. Soll
ich wegen ein paar besoffener Punks die Pferde scheu machen?«
    »Da drin ist eine Vierjährige! Ich kann heute keinen Murks
gebrauchen!«
    »Wenn Sie die Verantwortung übernehmen, treten wir die Tür ein.« Der
Einsatzleiter schien es darauf anzulegen, die Sache zu delegieren. Und wieder
dröhnte von drinnen die Stimme:
    » ICH KOMME RAUS. STORIA FINITA! «
    »Na also«, murmelte der Einsatzleiter und griff nach seiner Pistole.
Er und Nabel waren inzwischen in die Ruine eingedrungen und konnten die Tür
sehen, hinter der sich der Kidnapper befinden mußte. Schon schwang, mit einem
dumpfen Knall, die entriegelte Tür auf. Heraus trat ein bis auf die Unterhose
nackter junger Mann. Er hielt die Arme in die Luft und wurde binnen Sekunden
überwältigt. Nabel hörte Schritte hinter sich und schnellte herum.
    Sibylle war es irgendwie gelungen, ins Haus hinein- und an den
Beamten vorbeizurennen. Mehrere Teelichte brannten in dem Raum, in dem sich der
Halbnackte verschanzt hatte, und Sibylle rief: »Chrissie! Chrissie!«, aber bis
auf die Teelichte war der Raum kahl und leer, ganz und gar leer.
    »Da ist überhaupt kein Kind«, stellte der Einsatzleiter verwundert
fest, während Holger, der sich nicht wehrte, auf dem Steinboden verhandschellt
wurde. Sibylle griff sich eines der Teelichte und suchte den Raum ab, fand erst
nichts, dann, in einem Winkel, einige Tropfen Blut. Sie schrie.
    Nabel wunderte sich nur noch. Irgendwas war hier faul, aber die
Hysterie der jungen Punkerin schien echt.
    »Er muß sie getötet haben!« rief das Mädchen und raufte sich die
Haare.
    »Und wo bitte ist die Leiche?« Nabel leuchtete den Raum mit einer
starken Taschenlampe aus. Da war nichts. Nichts. Sibylle deutete auf

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