Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Nabel sagte, naja, den Umständen
entsprechend.
Er hatte nicht viel herausgefunden, dennoch ließ er per Telefon
Johnnys Untersuchungshaft beenden. Er glaubte nicht mehr an die Schuld des
Jungen, und die vorhandenen Verdachtsmomente würden vor keinem Richter Bestand
haben. Auf dem Revier saßen Johnnys Eltern im Wartezimmer und wollten ihren
Sohn sehen. Er konnte ihnen nur mitteilen, daß Johnny das Gebäude bereits
verlassen habe.
Es gab Wichtigeres zu tun. In Alt-Mariendorf war es vor einer halben
Stunde zu einem Eifersuchtsdrama zwischen jugendlichen Obdachlosen gekommen,
mit Geiselnahme und/oder Todesfolge.
Vincent betrat Julia Königs prachtvolle Charlottenburger
Wohnung und formulierte sogleich seine Verwunderung darüber, daß er von der
Hausherrin erneut herbestellt worden sei, wo seine Leistung beim letzten Mal
doch Anlaß zur Unzufriedenheit geliefert habe.
Ob er immer so geschwollen daherrede, fragte ihn die Managerin. Ob
er mit diesem Gerede seine fehlende Flexibilität untermauern wolle?
Nein, antwortete Vincent, man könne über alles reden. Bevor man
etwas tue, darüber zu reden, sei in den allermeisten Fällen sinnvoll. Er setzte
ein gewinnendes Lächeln auf.
»Zum Beispiel habe ich über Ihren speziellen Wunsch nachgedacht, den
ich beim letzten Mal nicht erfüllen konnte.«
»Ach? Haben Sie das?«
Vincent nickte. Und entnahm seiner Herrenhandtasche eine kleine
Canon-Digitalkamera.
Es sei notwendig, legte er dar, daß eine Kamera mitlaufe und daß sie
an sein übliches Honorar eine Null anhänge, dann, dann erst, könne er guten
Gewissens seine Prinzipien vergessen und sich ohne Kondom in ihren Mund
ergießen.
Julia antwortete, er sei offensichtlich verrückt, es müsse eine Ehre
für ihn sein, sich in egal welchen Teil ihres Körpers zu ergießen, er aber
entgegnete trocken, das sei nun einmal nicht so. Vincent machte eine
wegwerfende Handbewegung. »Wissen Sie, was ich vorhin habe tun müssen?«
»Nein, woher sollte ich?«
»Eine Frau, so eine wie Sie, sone Gutsituierte, eine, sagen wir: Dame von etwa vierzig Jahren bittet mich in den Grunewald. Ich soll ne Sonnenbrille
tragen und schwarze Kleidung. Wir gehen in ein Gebüsch. Dann soll ich ihr die
Augen mit einem samtenen Tuch verbinden, während sie sich auf der Erde hinkniet
und unter ihrem Rock an sich rumzuspielen beginnt. An einem Baum lehnt ein
Gewehr, das sie vorher da plaziert haben muß. Sie rubbelt also an sich rum, und
ich soll hinter ihr stehen, und in dem Augenblick, wenn es ihr kommt, soll ich
ihr einen Genickschuß verpassen.«
»Nein!«
»Doch. War natürlich kein scharfes Gewehr, war son Gotcha-Gewehr,
mit Farbkugeln drin.«
»Und? Haben Sie das gemacht?«
»Warum nicht? Die Frau hat mir vorher geschworen, daß dabei nichts
passieren kann.«
»Und es ist doch etwas passiert?«
»Nein. Naja. Doch! Sie hatte einen Riesenorgasmus. Und hinten gelbe
Haare. Und jetzt wohl einen blauen Fleck im Nacken.«
Julia schnalzte empört mit der Zunge. »Darf ich rekapitulieren? Sie
finden nichts dabei, einer Frau einen Genickschuß zu verpassen, weigern sich
aber, ohne Gummi in meinen Mund zu kommen?«
»Es gibt eben für alles Bedingungen! Meine hab ich Ihnen genannt!«
Swentja stand vor Mahmuds Wohnung und fragte, ob er zu
Hause sei. Faisal hatte geöffnet und starrte das Mädchen von oben herab an,
ohne irgendeine Frage zu stellen, wiewohl er sofort wußte, daß ihm jene Kreatur
gegenüberstand, die seinem Bruder so sehr den Kopf verdreht hatte.
»Was willst du von Mahmud?«
»Ich möchte ihn sprechen. Meine Eltern sind sehr gemein zu ihm
gewesen. Ich will das in Ordnung bringen!«
Faisal zögerte. Er sah viel Unheil voraus. Fühlte sich als
Beschützer seines Bruders. Aber gerade, weil das Mädchen weder hübsch noch ganz
häßlich, weder ganz ernstzunehmen noch zu unterschätzen war, berührten ihn ihre
Worte. Mehr, als er es für möglich gehalten hätte.
»Er ist in seinem Zimmer. Versprich mir bitte, daß du ihn nicht
ausnutzen wirst. Seine Seele ist frisch und zerbrechlich, weißt du?«
»Versprochen!«
Faisal gab ihr den Weg frei.
Es wäre für Julia König ein leichtes gewesen, Vincents
Bedingungen zu erfüllen. Aber der Triumph wäre doch eher seiner gewesen, nicht
ihrer.
»Warum die Kamera?«
»Das möchte ich Ihnen lieber nicht sagen. Sie hätten aber nichts zu
befürchten. Sie könnten sich irgendwie unkenntlich machen. Nehmen Sie meine
Sonnenbrille, oder ziehen Sie sich einen Strumpf übers
Weitere Kostenlose Bücher