Einstein, Quantenspuk und die Weltformel (German Edition)
Elementarteilchen würde sein Formalismus in sich zusammen brechen.
Um diesem Dilemma entgegen zu wirken, sind im Jahr 1964 verschiedene Wissenschaftler unabhängig voneinander auf die Idee gekommen, einen Mechanismus einzuführen, der Elementarteilchen durch ein Kraftfeld ihre Masse überhaupt erst verleiht. Der britische Physiker Peter Higgs veröffentlichte seine Theorie als erster, weshalb das Teilchen nach ihm benannt wurde. Noch war ihm die Bedeutung seiner Publikation nicht bewusst. So schrieb er an einen Studenten selbstkritisch: „Ich habe etwas völlig Nutzloses entdeckt“.
Ganz so nutzlos ist der so genannte Higgs-Mechanismus allerdings nicht. Im Higgs-Mechanismus beschrieb er, wie die Teilchen zu ihrer Masse kommen. Dazu führte er ein Hintergrundfeld ein, das Higgs-Feld, welches sich über die gesamte Raumzeit erstreckt und das Vakuum ausfüllt wie eine zähe Flüssigkeit. Die Teilchen werden durch die Wechselwirkung mit diesem Higgs-Feld gebremst, wodurch die Masse oder Trägheit entsteht. Etwa so, wie ein Schnellboot gebremst wird, wenn es durch einen Sumpf fährt. Bereits in der Newtonschen Mechanik wurde die Trägheit, der Widerstand eines Teilchens gegenüber einer Bewegungsänderung, mit der Masse gleichgesetzt. Einstein hat diese Grundannahme im Äquivalenzprinzip erweitert, in dem er Beschleunigung und Gravitation auf dasselbe Wesen zurückgeführt hat. Dabei setzt er die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips voraus, ohne jedoch die Gleichheit von Trägheit und Masse erklären zu können. Entstehen zwei so fundamentale Eigenschaften der Physik wie Trägheit und Masse durch das Higgs-Feld? Sollte es damit erstmals möglich sein, eine derart fundamentale Teilcheneigenschaft zu entschlüsseln?
Anhand einer Regierungsparty, die ausnahmsweise nicht dem Verschleudern von Steuergeldern dient, lässt sich schön veranschaulichen, wie der Higgs-Mechanismus funktioniert. In einem grossen Festsaal tummeln sich zahlreiche Repräsentanten einer Regierungspartei. Wenn die Präsidentin der eigenen Partei den Saal betritt, bildet sich um sie herum eine Ansammlung von Menschen, die sie alle begrüssen oder mit ihr sprechen wollen. Die Präsidentin kommt dementsprechend nur langsam voran. Betritt nun ein Vertreter der Opposition den Saal, entfernen sich alle Anwesenden, da sich niemand um den politischen Gegner scheren will. Der Oppositionelle kann sich daher ungebremst und frei im Saal bewegen. Die Präsidentin entspricht in diesem Beispiel einem Proton. Das Proton wird vom Higgs-Feld stark gebremst und erhält dadurch eine grosse Masse. Der Oppositionelle ist das Photon. Das Higgs-Feld übt auf das Photon keine Bremswirkung aus, weshalb es masselos bleibt. Das Elektron könnte man sich als Kellner vorstellen, der mit einer Platte feinem Gebäck den Raum betritt. Er zieht natürlich weniger Aufmerksamkeit auf sich als die Präsidentin, wird aber dennoch von einigen hungrigen Politikern belagert. Er wird dadurch in seiner Bewegung gebremst und erhält auf diese Weise seine Masse. Ein Elektron ist also wesentlich leichter als ein Proton, weil es weniger begehrt ist beziehungsweise im Higgs-Feld weniger stark gebremst wird. Diese Bremswirkung ist es, woraus Teilchen ihre Masse erhalten.
Mit dem Higgs-Mechanismus ist das Dilemma der masselosen Teilchen zu bändigen. Der Ball liegt nun bei den Experimentalphysikern, die erst einmal herausfinden müssen, ob dieser Mechanismus in der Natur überhaupt existiert, beispielsweise in dem das HiggsTeilchen in einem Teilchenbeschleuniger nachgewiesen wird. Derzeit läuft im CERN das LHC-Experiment, wobei die Detektoren „Atlas“ und „CMS“ Hinweise auf die Existenz des Teilchens liefern könnten. Tatsächlich zeigt sich nach ersten Erkenntnissen eine ungewöhnliche Häufigkeit von Teilchen in einem bestimmten Energiebereich, in den das Higgs-Teilchen passen könnte. Sollte sich herausstellen, dass das Higgs-Teilchen nicht existiert, wäre dies ein schwerer Schlag für das Standardmodell. Dann müsste die Frage nach der Herkunft der Masse neu aufgegleist werden. Aber auch wenn das Higgs-Teilchen existiert, hat das Standardmodell mit vielen offenen Fragen zu kämpfen. So ist nach wie vor ungeklärt, weshalb die fundamentalen Grundkräfte derart unterschiedlich stark sind. Oder wie sich das Standardmodell mit der Theorie verbinden lässt. Oder ob und wie sich die achtzehn freien Parameter aus einer allgemeinen Theorie vorhersagen lassen. Oder wie die unterschiedlichen
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