Einstein, Quantenspuk und die Weltformel (German Edition)
seine Wettschulden einzulösen. Sein Zug sei nämlich vor Ihrem Zug abgefahren. Ihr Schulfreund schaut leicht irritiert und entgegnet, dass Ihr Zug vor seinem Zug abgefahren sei.
Was ist passiert?
Die beiden Züge sind sehr modern, weshalb sie beim Abfahren sofort ihre Reisegeschwindigkeit erreichen, ohne zu beschleunigen. Deshalb setzen sich die beiden Freunde ans Fenster und beobachten den jeweils anderen Zug. Gespannt natürlich, wessen Zug zuerst abfährt. Einige Augenblicke später sieht ihr Schulfreund, dass sich Ihr Zug bewegt und er damit die Wette gewonnen hat. Gleichzeitig sehen Sie, dass sich der Zug Ihres Schulfreunds bewegt und Sie damit die Wette gewonnen haben.
Wer hat Recht?
Tatsächlich geht die Wette unentschieden aus. Beide haben mit Ihrer Behauptung Recht. Was wirklich vorgefallen ist, das heisst, welcher Zug zuerst abgefahren ist, hängt nämlich vom Standpunkt des Betrachters ab. Beide haben das Gefühl, der jeweils andere Zug sei zuerst abgefahren, was aus der jeweiligen Perspektive auch stimmt. Insofern haben beide einen Anspruch, die Wette gewonnen zu haben. Nun gut. So leicht wollen Sie sich natürlich nicht geschlagen geben. Sie haben ja noch einen Trumpf im Ärmel. Einen Zeugen nämlich, der die Szene auf einer Brücke, die über die Geleise führt, beobachtet hat. Der Zeuge bestätigt – wohl nicht zu Ihrer Freude - dass Ihr Zug zuerst abgefahren sei. Es scheint, als hätten Sie die Wette doch verloren und begleichen als sportlicher Verlierer Ihren Einsatz.
Leider kannten Sie die spezielle Relativitätstheorie nicht, sonst hätten Sie mit gutem Grund ein Unentschieden aushandeln können. Tatsächlich ist es nur unser Alltagsverstand, der sagt, dass ein Zug fährt, wenn ihn jemand den Bahnhof verlassen sieht. Der Zug könnte aber genauso gut behaupten, nicht er habe sich in Bewegung gesetzt, sondern die ganze Welt um ihn herum. Kein Mensch könnte darüber urteilen, wer Recht hat, da jeder aus seinem Bezugssystem betrachtet die Wahrheit sagt. Da jedes Bezugssystem gleichberechtigt ist, sind beide Betrachter mit ihren Aussagen im Recht.
Sie lesen in diesem Moment offenbar gerade diese Zeile. Sie haben es sich irgendwo bequem gemacht und geniessen in Ruhe dieses Buch. Wenn in diesem Moment ein tieffliegendes Flugzeug neben Ihnen durchkracht oder eine Mücke um ihren Kopf kreist, sind Sie intuitiv davon überzeugt, dass Flugzeug und Mücke sich bewegen, Sie aber in Ruhe sitzen (zumindest bis es kracht). Wenn Sie Ihren Blickwinkel aber etwas skalieren, erkennen Sie schnell, dass diese Sichtweise sehr relativ ist. So befinden Sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo auf der Erde und gehen damit die Erddrehung mit. Die Erde bewegt sich mit ungefähr 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne, das entspricht rund 108‘000 Kilometer pro Stunde. Die Sonne wiederum dreht sich ziemlich schnell um das Zentrum der Milchstrasse. Sind Sie ganz sicher, dass Sie sich in Ruhe befinden?
Natürlich wird es praktisch gesehen schwierig, dem Polizisten zu erklären, dass das Rotlicht Sie überfahren habe. Die spezielle Relativitätstheorie würde Ihnen dabei aber durchaus zustimmen. Tatsächlich sind wir intuitiv derart auf unsere Weltanschauung festgefahren, dass der Gedanke abstrus erscheint, die Erde bewege sich relativ zum Zug und nicht umgekehrt. Wenn wir uns aber ein leeres Universum vorstellen, in dem sich nur zwei Raumschiffe befinden, die sich relativ zueinander bewegen, so werden beide Piloten das Gefühl haben, das jeweils andere Raumschiff bewege sich relativ zum eigenen Raumschiff. Da im Universum kein absolutes Bezugssystem existiert, haben wir prinzipiell keine Möglichkeit zu sagen, welches Raumschiff sich nun bewegt. Viel mehr sind die Perspektiven beider Piloten richtig. Auch hier wiederum der Hinweis, dass es sich hierbei um ein fundamentales Prinzip der Natur handelt. Es ist gar nicht möglich, ein Raumschiff zu bestimmen, das sich bewegt, da es im Universum keine absolute Bewegung gibt. Eine gleichmässige Bewegung besteht immer aus mindestens zwei Bezugssystemen, die sich relativ zueinander bewegen. Die Wahrnehmung der Bewegung ist dabei relativ und damit vom Betrachter abhängig.
Dieser Effekt wird übrigens in praktisch allen modernen Computerspielen eingesetzt. Wenn der Spieler seinen Boliden durch kurvige Bergrennen manövriert oder als Gangster durch die Strassen der Stadt spaziert, hat er das Gefühl, er bewege sich durch die virtuellen Landschaften. Tatsächlich sind
Weitere Kostenlose Bücher