Einstein, Quantenspuk und die Weltformel (German Edition)
sondern ein Teilchen, das man sich wie eine Kugel vorstellen kann. Dachte man zumindest.
Das Experiment lieferte mit dem Interferenzmuster den Beweis für die Existenz der von de Broglie postulierten Materiewellen. Auch klassische Teilchen wie Elektronen oder Protonen können unter gewissen Umständen, zum Beispiel bei diesem Experiment, Wellencharakter annehmen. Elektronen verhalten sich dann als Wellen, obwohl sie nach klassischer Auffassung eigentlich Teilchen sind. Nur dadurch lässt sich das Interferenzmuster überhaupt erst schlüssig erklären. Schlüssig ist allerdings stark übertrieben. Das Experiment hat nämlich mindestens einen zünftigen Haken, der Physiker und Philosophen gleichermassen in faszinierende Verzweiflung stürzen lässt. Dieser Haken, ein am Meeresgrund verklemmter Anker der Physik, lässt sich in der Antwort zu folgender Frage finden: Was geschieht, wenn eine der beiden Spalten geschlossen wird?
Auf der Fotoplatte erscheint nun nicht mehr ein Interferenzmuster, sondern die klassische Abbildung der Spalten („Berge“), wie wir sie eigentlich bereits (in Abbildung 7) bei zwei geöffneten Spalten erwartet hätten. Die eigentliche Brisanz zeigt sich aber erst, wenn wir den Versuch noch einen Schritt weiter führen und uns fragen: Was geschieht, wenn beide Spalten offen sind und wir versuchen zu bestimmen, durch welche Spalte die Elektronen fliegen? Dann, sehr verehrte Leserinnen und Leser, entfaltet die Quantenphysik ihre unheimliche Faszination in ganzer Blüte. Auf der Fotoplatte entsteht nämlich wiederum das klassische Abbild der Spalten, also die Erscheinung, die wir unserer Alltagsvorstellung nach vermutet hätten. Wieso erscheint beim an und für sich gleichen Versuch einmal ein Interferenzmuster und einmal das klassische Abbild der Spalten? Und, ganz nebenbei gefragt, wieso verhalten sich die Elektronen einmal als Teilchen und einmal als Wellen? Und wie wissen sie und wir, wann welches Verhaltensmuster angewendet wird?
Der Ausgang des Experiments hängt offensichtlich davon ab, ob wir versuchen, den Weg des Teilchens zu bestimmen oder nicht. Oder anders ausgedrückt: Ob wir das Experiment beobachten oder nicht.
Den ersten Doppelspaltversuch haben wir durchgeführt, ohne die Elektronen im Flug zu beobachten. Wir haben lediglich die Einschläge auf der Fotoplatte ausgewertet und dadurch festgestellt, dass ein Interferenzmuster entstanden ist. Beim zweiten Doppelspaltversuch haben wir versucht zu bestimmen, durch welche Spalte die Elektronen geflogen sind. Dabei haben wir festgestellt, dass auf der Fotoplatte ein klassisches Abbild der Spalten entstanden ist und kein Interferenzmuster.
Zwei identische Versuche, aber zwei konträre Resultate.
Damit ist ein grundlegendes Prinzip der klassischen Physik verletzt: Der Ausgang eines Experiments hängt nunmehr massgeblich von Messungen ab, obwohl diese Messungen das Experiment an und für sich nicht beeinflussen sollten. Die Messung selber hat nämlich keinen störenden Einfluss auf das Experiment.
In der klassischen Anschauung ist dieses Phänomen nicht erklärbar. Schlicht unmöglich. Stellen Sie sich vor, Sie feuern aus einer Pistole mehrere Schüsse auf eine Wand, und diese hat nichts Besseres zu tun, als die meisten Einschusslöcher an Stellen zu sammeln, die man mit der Pistole eigentlich kaum erreicht. Jetzt befestigen Sie an einem der beiden Spalten eine Vorrichtung, um zu schauen, durch welche Spalte hindurch Ihre Schüsse eigentlich auf die Fotoplatte gelangen. Und nun. Was geschieht nun? Genau. Nun sammeln sich alle Ihre Schüsse mehr oder weniger direkt hinter den beiden Spalten – das Experiment verhält sich so, wie wir es intuitiv erwarten würden. Wie ist es aber möglich, dass der Ausgang des Experiments davon abhängt, ob wir es messen oder nicht? Und wie ist es möglich, dass Teilchen ein Interferenzmuster bilden und sich auf der Fotoplatte an Stellen konzentrieren, die sie nach klassischer Auffassung kaum erreichen sollten? Oder anders gefragt: Wie ist die Wellennatur von materiellen Teilchen zu verstehen? Wie kann etwas eine Welle sein, das konsistente, feste Materie wie Steine, Häuser oder Autos formt?
Die Quantenphysik kennt dafür nur eine Erklärung:
Solange wir die Flugbahn des Elektrons nicht zu messen versuchen, fliegt das Elektron gleichzeitig durch beide Spalten und beschreitet dabei alle möglichen Wege. Es ist gewissermassen überall. Das Elektron verhält sich hierbei als Materiewelle und kann sich mit
Weitere Kostenlose Bücher