Einstein, Quantenspuk und die Weltformel (German Edition)
Grossteil der Teilchen gleichzeitig eine sehr unwahrscheinliche Bahn einschlägt, wodurch ihre Couch zu einem Sessel mutiert oder einfach in die Küche marschiert. Noch einmal möchte ich verdeutlichen, dass die Möglichkeit zwar fast unendlich klein, aber prinzipiell dennoch vorhanden ist. So, wie die meisten Menschen niemals im Lotto gewinnen und gleichzeitig im Flugzeug abstürzen, werden die meisten Menschen niemals ihr Sofa in die Küche marschieren sehen.
Durch den Einzug der Wahrscheinlichkeit und der Unschärfe wird die Welt für uns unberechenbar. Allerdings nicht, weil unser Wissen zu beschränkt oder unsere Technologien unausgereift wären, sondern weil es sich dabei um ein fundamentales Prinzip handelt. Selbst mit astronomischen Computern könnte man die zukünftige Entwicklung nicht präzis berechnen, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit abschätzen. Je mehr Prozesse dabei interagieren und je länger der betrachtete Zeitraum ist, je ungenauer werden die Prognosen.
Einige Zeitgenossen Einsteins waren vom Zufallsprinzip der Quantenphysik wenig begeistert. Sie führten dieses denn auch nicht auf ein fundamentales Prinzip der Natur, sondern lediglich auf eine unvollständige Theorie zurück. Bevor Newton die Gravitationsgleichung entwickelte, konnte schliesslich auch niemand den Fall eines Apfels präzis vorhersagen („er fällt gerade auf den Boden“ ist nicht „präzis“). Der Quantenspuk missfiel auch Einstein und er präzisierte seinen Standpunkt mit der viel zitierten Aussage: „Der Alte (Gott) würfelt nicht“.
Der österreichische Physiker Schrödinger schickte sich indessen an, der Fachwelt die Unvollständigkeit der Quantenphysik in einem Gedankenexperiment vor Augen zu führen. Eine Katze und ein instabiler Atomkern befinden sich in einem geschlossenen Raum, beispielsweise einer luftdicht verschlossenen Kiste, wie auf Abbildung 9 dargestellt. Es gibt keine Möglichkeit, die Vorgänge in der Kiste zu beobachten, ohne die Kiste zu öffnen. Zerfällt der Atomkern, wird eine Mechanik ausgelöst, die ein Giftgas freisetzt, wodurch die Katze stirbt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Atomkern innerhalb einer Stunde zerfällt, beträgt 50 Prozent und ebenso 50 Prozent, dass er nicht zerfällt. Ohne die Kiste zu öffnen, kann niemand sagen, ob der Atomkern bereits zerfallen ist oder nicht. Daher befindet sich der Atomkern in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand 41 . Er ist gleichzeitig zerfallen und nicht zerfallen. Solange wir den Versuchsaufbau sich selber überlassen und nicht beobachten, überlagern sich die möglichen Zustände. Bereits im Doppelspaltexperiment haben wir gesehen, dass in der Quantenphysik Zustände erst einen bestimmten Wert annehmen, wenn wir sie messen oder ihre Isolierung von der Aussenwelt zerstören.
41 Die Zustandsüberlagerung wird in der Quantenphysik auch als Superposition bezeichnet. Ein Teilchen befindet sich dabei in zwei Zuständen gleichzeitig, zum Beispiel zerstört und nicht zerstört. Sobald das Teilchen in Wechselwirkung mit der Umgebung tritt, wird die Superposition zerstört und das Teilchen entscheidet sich für einen Zustand.
Im Beispiel mit der Schrödinger Katze wird die Überlagerung zerstört und damit die uns vertraute Gestalt der Physik herbeigeführt, sobald wir die Kiste öffnen. In diesem Moment entscheidet sich der Atomkern spontan für einen Zustand (zerfallen oder nicht zerfallen), wodurch ebenso das Schicksal der Katze bestimmt wird. Das System lässt sich natürlich nicht überlisten, in dem wir beispielsweise eine funkgesteuerte Kamera im Innern der Kiste montieren. Spätestens wenn die Kamera ihre ersten Signale sendet, springt der Atomkern in einen eindeutigen Zustand.
Abbildung 9 Die Schrödinger Katze
Schrödinger beabsichtigte mit seinem Gedankenexperiment auf das merkwürdige Paradoxon hinzuweisen, das entsteht, wenn die Quantenphysik auch in makroskopischen Sphären, in unserem Alltag, uneingeschränkt gilt. Denn dann befindet sich nicht nur der Atomkern in einem Überlagerungszustand, sondern auch die Katze. So lange die Kiste geschlossen bleibt, ist die Katze weder tot noch lebendig, sondern halbtot (oder halblebendig). Zumindest, wenn man die Prinzipien der Quantenphysik kompromisslos auf makroskopische Dimensionen überträgt. Ein solcher Überlagerungszustand ist mit unserer Alltagserfahrung nicht vereinbar. Nichts kann gleichzeitig tot und lebendig sein. Das eine schliesst das andere aus. Schrödinger
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