Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Steintreppe hin und gibt ihr Feuer. Das Fernglas könnte das gleiche Format haben wie sein Glas, vielleicht auch die gleiche Schärfe. Trinken dürfen Sie wohl auch nicht, sagt die Frau. Nein, sagt er, trinken nicht. Aber eine Aufnahme, sagt die Frau, darf ich Sie bitten, eine Aufnahme von mir zu machen? Sie brauchen nur den Auslöser runterzudrücken. Von mir aus, sagt er.
Sie turnt schwerfällig in die Kajüte runter. Wie sie das aushält mit dem hochgepreßten Busen und den kneifenden Shorts. Ihre Haut ist griesig. Man hat nichts davon, sie sich gründlich anzusehen. Unten nimmt sie einen Schluck aus einer Flasche und wischt mit dem Handrücken über den breiten Mund. Sie schnappt sich einen Kamm, kämmt das stumpfe Haar, dann kommt sie mit ihrem Photoapparat zurück. Er knipst sie vor dem Mast, er knipst sie zur Sicherheit an der Pinne und mit verschränkten Armen vor dem Rettungsring. Danach legt sie los mit »ganz herzlichem Dank« und so weiter. Der junge Zöllner winkt ab und murmelt etwas. Ein gutes Glas haben Sie, sagt er. Keine Ahnung, sagt sie, das Glas gehört meinem Sohn. Er nimmt das hellbraune Etui von der Heckbank und fragt; Darf ich mal? Sie bringt ihre träge Masse in Ruhestellung. Klar, sagt sie.
Er hebt das Glas an die Augen, stellt die Trennschärfe ein, blickt über den Fjord hinaus bis zu den kahlen Inseln, von denen die Ruderboote der Angler ins tiefere Wasser hinausstreben. Weit draußen tauchen die grauen Aufbauten eines Minensuchers auf. Langsam schwenkt er über den Fjord zum Strand. Segelboote ziehen vorbei. Er erkennt den Kopf eines Schwimmers. Parallel zum Strand fahren ein paar von diesen elenden Motorbooten. Hinter einer Strandburg tauchen Köpfe auf, wie Seehunde aus einer Welle. Im Schutz seines Korbes zieht ein silberhaariger Sommergast seine Badehose aus. Er hat hängende Hüften, einen hängenden Hintern. Die Buden und Stände sind von Gören und jungen Leuten belagert. Überall am Wasser stehen brüllende Kinder. Kinder können einem den ganzen Urlaub versauen, weil sie sich entweder den Fuß aufschneiden oder auf die Toilette geschleppt werden wollen oder weil ihnen eines der blöden Gummitiere wegschwimmt. Vor dem Fischgeschäft hält die Karre von der Räucherei. Bungert verläßt das Geschäft. Ein sehr gutes Glas, sagt der junge Zöllner. Das will ich meinen, sagt ein arroganter Bursche mit Seglermütze, der hinter ihm aufgekreuzt ist. Die Frau rappelt sich wieder auf. Sie nennt den riesigen Burschen »Liebling«. Sie sagt: Hast du auch Sonnenöl, Liebling, worauf der Liebling freundlich grunzt und mit seiner wasserdichten Einkaufstasche an Bord springt. Ich hab sogar Notraketen, sagt er, drüben in der Werft bekommt man alles, neu oder gebraucht, im Magazin. Wir dürfen hier nicht liegen bleiben an der Mole, sagt sie, und der junge Zöllner legt das Glas auf die Heckbank und sagt: Festmachen schon; nur über Nacht können Sie hier nicht liegenbleiben. Er grüßt, packt sein Fahrrad, dreht es herum und latscht zum Hafen zurück. Im Bauch der »Albatros« singen immer noch besoffene Betriebsausflügler. Neben dem Laufsteg findet eine dieser verrückten Abschiedsszenen statt: mehr als achtzig Ausflügler sagen sich da gegenseitig auf Wiedersehn. Ein Kerl im Regenmantel hat einen Hustenanfall, doch das hindert ihn nicht, andern die Flosse zu drücken. Zu den öffentlichen Toiletten ist eine endlose Prozession unterwegs. Vor dem Eingang warten die Leute in Viererreihe. Der junge Zöllner überquert die Schienen. Er geht am Haus der Hafenverwaltung vorbei. Das Haus ist ziemlich verdreckt und runtergekommen. Auf dem Fensterbrett liegen tote Fliegen. Die Gardinen sind nicht nur mies, sondern auch zerrissen. Er sieht erst gar nicht hinein, er geht zu den Schuppen hinüber und von dort an einer leeren Slipanlage vorbei zur Werft.
Ein Arbeiter kriegt nicht mal sein Maul auf, als der Zöllner ihn nach dem Magazin fragt. Nur mit seinem Kopf macht er eine sparsame Bewegung in eine bestimmte Richtung. Das genügt auch. Hinter Hügeln von Ventilen, Kolben und Rohren und all dem ausgedienten Mist liegt das Magazin. Es ist eine ziemlich große Bude mit zwei Stockwerken und einem Teerpappendach. Neben dem Eingang hängt ein Verbotsschild, darunter ist eine Klingel. Der Zöllner drückt den Klingelknopf. Drinnen rasselt und tobt ein elektrischer Klöppel, daß man am liebsten abhauen möchte. Wie Alarm hört sich das an, gleich wird die Hafenpolizei erscheinen und ohne Anruf
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