Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
absitzt. Staubige Autos rollen in Kolonnen vorbei. In vielen sitzen Burschen mit nackten Oberkörpern. Verschwitzte Frauen hocken spreizbeinig auf den Beifahrersitzen und stieren auf die flimmernde Chaussee. Einige der mistigen Autos tragen an der Kühlerhaube Rentiergeweihe, bei andern sind die Scheinwerfer mit Birkenzweigen verdeckt. Auf den meisten Rücksitzen liegen erhitzte Gören, die sich im Schlaf besabbern. Es ist nicht leicht, über die Chaussee zu kommen, keiner hält an.
      Drüben im Wald, hinter der Schonung, wird es stiller. Die Paviane mit ihren Motorsägen haben Feierabend gemacht oder Kaffeepause, vielleicht sind sie auch auf den Zweigen weggeturnt. Auf einer Lichtung sitzen ein Langer und eine träge Breite im Badeanzug. Der Lange saugt sich am Gebiß des Mädchens fest, das den Kopf nach hinten geworfen hat wie unter einem Würgegriff; gleich wird der Nackenwirbel brechen. Der Zöllner sieht weg, blickt auf den Boden, als ob er den genauen Verlauf der Grenze bestimmen müßte. Auf der andern Seite ist nichts los. Nur einmal winkt ihm ein Kollege von drüben zu, mustert ihn durchs Glas, winkt noch einmal und schiebt ab. Heute kontrolliert ihn niemand. Die Transistorgeräte sind längst drüben - wenn nicht, werden sie nächste Woche rübergebracht.
      Er geht weiter auf dem Pfad neben der Grenze bis zum kleinen Waldsee. Er wirft eine Kippe in den stinkenden See. Auf der andern Seite des Sees steht Pischmikat und grinst. Sie gehen aufeinander zu. Sie geben sich die Hand. Pischmikats Frau ist seit zwei Jahren in der Klapsmühle, weil sie aus jedem unbewachten Kinderwagen Säuglinge klaute. Der hat es schon gehabt, daß er nach dem Dienst vier unbekannte Säuglinge im Schlafzimmer fand. Er besucht seine Frau und bringt ihr Obstkuchen und Saft, weil sie immer Durst hat.
      Hast du Reinhart gesehen, fragt er. Reinhart ist vorbeigesaust hier, als ob sie wären hinter ihm her. Nein, sagt der junge Zöllner, ich hab ihn nicht gesehn. Hat nur gelacht und ist gerannt, und weg war er, sagt Pischmikat. Er hat doch die Bucht heute, sagt der junge Zöllner, und Pischmikat darauf: Mir hat er keine Auskunft gegeben, nur vorbeigerannt ist er. Nahm er dich nicht mit? Er ist jung wie du, ist Anfänger wie du: da möchte man vieles allein machen. Sie setzen sich ans Ufer des kleinen, stinkenden Sees. Das Wasser ist dunkel und brühwarm, Sie tauschen Zigaretten aus und sitzen und beobachten schweigend die Grenze. Plötzlich sagt Pischmikat: Was will der Alex nur von dir? Warum will er dich fertigmachen? Ich weiß es nicht, sagt der junge Zöllner, vielleicht weil ich den Diebstahl der Pistole gleich gemeldet hab, ohne mit ihm darüber zu reden. Er hat was gegen dich, sagt Pischmikat. Ja, sagt der junge Zöllner, ja, ich weiß. Solltest nach Feierabend ein Bier mit ihm trinken, sagt Pischmikat. Kann sein, sagt der junge Zöllner, ich werd ihn mal einladen. Sie sitzen eine Weile schweigend nebeneinander, dann stehen sie schweigend, ohne Verabredung, auf, nicken sich zu und gehen in verschiedene Richtungen davon.
      Der junge Zöllner geht weiter an der Grenze entlang bis zum verlassenen Gehöft. Hier endet sein Bezirk. Das Gehöft ist fensterlos, in den Mauern geplatzt, die nackten Räume werden als Toilette benutzt. Bei Regen kann man sich hier unterstellen. Er umrundet das Gehöft, steht und lauscht in den verwilderten Garten, alles ist still. Er sieht auf die Armbanduhr. Ruhig beobachtet er ein rechteckiges Feld und den Rand einer Schonung. Es wird dämmrig. Jenseits der Grenze kläfft ein Köter, ein anderer antwortet ihm aus großer Entfernung. Der junge Zöllner kehrt zu seinem Fahrrad zurück und schiebt es zu einem breiten, sandigen Waldweg, der von der Grenze wegführt. Der Weg ist zerfahren von den Rädern der HolzLastwagen. An den Seiten liegen gefällt Stämme, bereit zum Abtransport. Das Geländer einer Brücke, die über einen mageren Bach führt, ist eingedrückt. Kühl ist der Sand und feucht auf dem Weg unter den Bäumen. An Fahren ist nicht zu denken. Bis zur Kreuzung muß er das Fahrrad schieben, bis zur alten gepflasterten Chaussee. Jetzt geht's bergab, an verdreckten Fabrikhöfen vorbei. An allen Mauern hängen Fruchtsaft-Plakate. Die Fjord-Zeitung macht Reklame für sich. Man kriegt schon genug von dieser Gegend auf der kurzen Fahrt von der Kreuzung bis zur Unterführung. Arbeiterinnen pfeifen hinter ihm her, sie tragen sehr enge Röcke, man kann darunter die dreieckigen Slips erkennen,

Weitere Kostenlose Bücher