Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
schießen, und so weiter.
Endlich kommt der Verwalter. Es ist ein befehlsgewohnter Alter in fleckigem Tuchmantel, mit ausgetretenen Schuhen an den Füßen und stark behaarten Händen.
Komm rein, sagt er zum Zöllner und zieht ihn in die Bude und schließt hinter ihm die Tür ab. Sie steigen eine luftige Treppe hinauf. Sie gehen in ein behelfsmäßiges Kontor mit Oberlicht. Der Verwalter packt einen gelben Ordner mit Listen weg. Er setzt sich und nimmt einen Schluck aus einer Blechtasse. Womit kann ich dem Zoll dienen? fragt er. Eine Hängematte, sagt der Zöllner, ich bin auf der Suche nach einer billigen Hängematte. Kann gebraucht sein. Tut mir leid, sagt der Verwalter, die letzten Hängematten hab ich ans Kinderheim verkauft. Ich denke, bei euch kann man alles kriegen, sagt der Zöllner, vom Mast bis zur Schraube. In vierzehn Tagen krieg ich wieder Hängematten, sagt der Verwalter, wenn's weiter nichts ist. Der junge Zöllner nickt, geht zur Tür, dreht sich nochmal um und fragt ruhig: Und ein Glas? Ein gebrauchtes Fernglas? Du hast doch eins, sagt der Verwalter. Ich suche es nicht für mich, sagt der Zöllner.
Der Verwalter dreht sich weg, geht zu einem Regal und hebt einen Karton heraus. Er stellt den Karton auf den Tisch. Oben drauf liegen Lappen und ölverschmierte Arbeitshandschuhe. Suchend kramt er alles zur Seite, hebt eine kleine Steuerbordpositionslaterne heraus, zuletzt bringt er ein zusammengeschlagenes Handtuch zum Vorschein. Er schlägt es auseinander und hält dem jungen Zöllner ein Glas hin und sagt: Hundertfünfzig, und du hast es. Es ist ein sehr gutes Glas. Ich hab's gerade reinbekommen. Der Zöllner nimmt das Glas. Er bewegt es im Gelenk. Er sieht auf die Mittelschraube und erkennt, daß die mattgraue Schutzfarbe da zur Hälfte weggekratzt ist. Seine Hand beginnt zu zittern. Es ist sein Fernglas. Wenn du es mal prüfen willst, sagt der Verwalter. Wer beliefert euch mit so guter Ware, fragt der Zöllner. Geschäftsgeheimnis, sagt der Verwalter, und dann: Weil du es bist, hundertdreißig. Ich weiß nicht, sagt der Zöllner, ich muß es mir nochmal überlegen. Sowas geht schnell weg, sagt der Verwalter, und der Zöllner gibt das Glas zurück und sagt: Ich komm wieder, ich muß nur mal ausrechnen, wo ich den Zaster einspare. Aber von mir aus: es ist so gut wie gekauft. Der Verwalter wickelt das Glas in das Handtuch, legt es in den Karton und stellt den Karton ins Regal. Zurücklegen kann ich es nicht, sagt er. Ich beeil mich, sagt der junge Zöllner. Er gibt durch ein Handzeichen zu verstehen, daß er den Weg hinaus allein findet. Er steigt die Treppe hinab und schließt die Tür auf. Draußen packt er sein Fahrrad mit einer Hand in der Mitte der Lenkstange. Der stumme Arbeiter glotzt ihm lange nach, wie er davongeht zum Hafen und in Richtung Strandpromenade.
Das Fjord-Café ist von Halbstarken besetzt. An den Tischen im kleinen überwachsenen Vorgarten ist kein Platz mehr frei. In Badehosen und Bikinis hocken die Halbstarken da herum und können sich glatt den ganzen Nachmittag an einer Brause festhalten. Aus den Lautsprechern in den Linden singt Lemmy Baboo. Die Halbstarken geraten regelrecht in Trance, wenn Lemmy singt. Jetzt kann man am besten ihre Haltungsschäden studieren. Einige Burschen tragen Schnürsenkelschlipse um den nackten Hals. Die Mädchen haben klobige falsche Ringe an den Fingern. Der junge Zöllner geht vorbei. Er hört, wie jemand sagt: Da geht 'ne grüne Gurke. Er könnte stehenbleiben, in den Vorgarten gehen, sich den Satz wiederholen lassen und, wenn er wollte, einem Burschen mit Hängeschultern die Fresse polieren. Er latscht vorüber. Er blickt auf den Fjord hinaus, in dessen Mitte hier die Grenze verläuft. Ein Zollkutter von drüben patroulliert mit kleiner Fahrt ins offene Wasser hinaus. Es ist hier nicht sehr viel los.
Plötzlich bleibt er stehn. Aus dem Fischgeschäft kommt eine
junge, schwarzhaarige Frau. Sie schleppt eine volle Einkaufstasche. Sie trägt ein dünnes rotes Kleid und Sandalen an den nackten Füßen. Offenbar ist sie noch nicht fertig mit ihren Einkäufen, sie ist nie fertig mit ihren Einkäufen. Dicht vor den Schaufenstern geht sie die Promenade entlang. Im Vorübergehen prüft sie die Auslagen, begrabbelt da einen Blumenkohl, untersucht Pfirsiche auf dunkle Stellen. Der junge Zöllner folgt ihr vorsichtig. Er weiß, daß sie jetzt Puddingpulver, jetzt Marmelade, jetzt Brot, jetzt Käse kauft. An einem pilzförmigen Stand
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