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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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trinkt sie eine Tasse Kaffee. Mit ihrem Kopfschütteln hat sie es abgelehnt, Kuchen zu essen. Sie zahlt hastig. Dann geht sie zum Schaufenster eines Optikers. Sie setzt die Einkaufstasche ab. Sie sieht sich die ausgestellten Ferngläser an.
      Der Zöllner lehnt sein Fahrrad an einen Baum, geht von hinten an sie heran, sie sieht ihn im Spiegelbild der Scheibe und dreht sich schnell um. Sie lächelt, als ob er sie ertappt hätte, und sagt nichts weiter als: Ich bin gerade beim Einkaufen. Er zieht sie um das Eckfenster. Er beobachtet die Strandpromenade, dann sagt er: Wir müssen aufpassen, im Dienst haben die das nicht gern. Ich habe Bungert getroffen, sagt sie, und er: Ich weiß, wo mein Glas ist. Ich hab es gerade in der Hand gehabt. Hast du es wieder, fragt sie erstaunt. Nein, sagt er, aber ich weiß, wo es ist. Man hat es mir angeboten, für hundertdreißig Mark. Dein Glas? Mein Glas, sagt er und steckt sich eine Zigarette an. Drüben in der Werft, sagt er, der Verwalter in der Werft hat es mir angeboten. Und von wem hat er's, fragt sie. Wenn ich das wüßte, sagt er, wenn ich das wüßte, wären wir weiter. Aber es muß einer von uns gewesen sein. Das kannst du doch melden, sagt sie, du kannst es Manteuffel persönlich melden. Er schüttelt den Kopf. Er sagt: Es ist nichts bewiesen damit. Willst du es dann vielleicht zurückkaufen, fragt sie, dein eigenes Glas zurückkaufen? Ich muß es tun, sagt er, ich hab' so eine Ahnung, als ob ich es tun muß. Es ist furchtbar, sagt sie, und er, schon unterwegs zu seinem Fahrrad: Es kann heute später werden, warte nicht auf mich. Er winkt der Frau zu, und die Frau winkt zurück und geht langsam hinter ihm her.
      Der junge Zöllner fährt wieder zurück durch den Hafen zur Werft. Wer ihn von weitem fahren sieht, könnte denken, der hat seinen Dienst hinter sich oder muß Verstärkung holen oder so etwas.
      Auf dem unübersichtlichen Gelände der Werft, zwischen rostigen Kesseln und zerschlagenen Aufbauten steigt er ab, duckt sich und schüttet den Sand aus seinem Etui. Er reinigt das Etui mit dem Taschentuch; dann fährt er zum Magazin und drückt den Klingelknopf, der in beiden Stockwerken Alarm auslost. Er sieht sich um. Der stumme Arbeiter ist verschwunden, vielleicht haben sie ihn als Gallionsfigur an einen Bug geleimt. Fern am Wasser fährt ein Kran entlang. Der Kranführer brüllt und regt sich auf, um zwei Seeleute von den Schienen zu jagen. Der Himmel bewölkt sich. Bald wird die Sonne fort sein. Der Zöllner klingelt noch einmal, und jetzt hört er den Schritt des Verwalters auf der Treppe, jetzt auf dem Gang. Der Verwalter öffnet die Tür. Er bleibt im Eingang stehen. Ich möchte das Glas, sagt der Zöllner, ich bin zurückgekommen, weil ich es kaufen möchte. Der Verwalter schnalzt bedauernd mit der Zunge. Es ist weg, sagt er, ich hab's eben verkauft. Das kann nicht sein, sagt der Zöllner, und der Verwalter darauf: Wenn ich's dir sage: vor zehn Minuten ging das Ding weg. Einer von euch hat's gekauft, wenn du's genau wissen willst. Von uns? fragt der Zöllner, wie sah er aus? Ich merk mir keine Gesichter, sagt der Verwalter, er war jung, das ist alles, was ich dir sagen kann. Der Verwalter zuckt die Achseln. Hängematten in vierzehn Tagen, sagt er. Ja, sagt der Zöllner, ist gut.
      Die Tür schließt sich vor ihm, und er murmelt etwas gegen die Tür und bleibt länger stehen als üblich. Er steckt sich eine Zigarette an. Er öffnet das leere Etui vor seiner Brust und schließt es wieder. Die »Albatros« läuft mit nüchternen Betriebsausflüglern zu ihrer letzten Tagestour aus. An Bord stehen ein paar Kerle mit Ferngläsern und glotzen auf zwanzig Meter die Zurückbleibenden an. Drüben vor den Hotels halten einige Busse. Die Leute, die aussteigen, schleppen sich gleich zu den Kneipen und Freßlokalen, in denen man das ganze Zeug aus dem Fjord vorgesetzt kriegt: Sprotten, Muscheln, Dorsche und Aale. Wenn man sieht, wie die Leute da von den Bussen reinströmen, weiß man, wovon die Kneipen leben, die dicht an dicht stehen mit ihren hochtrabenden Namen. Fjordblick heißen sie oder Fjordkeller und eine nennt sich sogar Fjordtröpfchen. Viele von denen, die mit den Bussen herkommen, kriegen den Fjord selbst überhaupt nicht zu sehn. Zuhause wissen sie nur noch, wieviel sie gesoffen haben.
      Der junge Zöllner streift am Spalier der Kneipen entlang. Er fährt zur Chaussee, die den Wald durchschneidet. Er hält an der gleichen Stelle, an der er immer

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