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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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überschlug etwa, was die unterseeische Steinbank noch hergab, und machte Entwürfe für den übernächsten Winter, in dem die neue Mole, von den Stürmen bearbeitet, sacken und sich setzen sollte mit ihrer vierzehn Meter breiten Sohle, die sich nach oben bis auf drei Meter verjüngte. Doch je gesprächiger er mir gegenüber wurde, desto beharrlicher schwieg er in Gegenwart dieser Frau, ich beobachtete oft genug, wie er, wenn wir beim Essen saßen, ihrem Blick auswich und seine Befangenheit loszuwerden versuchte durch vorgespieltes Behagen an der Mahlzeit. Dennoch war er immer bereit und als Träger zur Verfügung, wenn sie zu den Kaufleuten mußte, die ihre Wagen nicht bis zu uns herausschickten. Wenn ich am Fenster saß und las - in jenen Wochen hatte ich mir vorgenommen, alle hundertachtzig Bücher wiederzulesen, die mein Vater sich zusammengeholt und hinterlassen hatte -, sah ich sie oft davongehen und beladen zurückkehren; meist nahmen sie den Strandweg, der doch einen Umweg bedeutete. Sie schien nun die Sonne leichter ertragen zu können, und, wie sie sagte, ließ auch der Druck auf ihren Schläfen etwas nach. Was mich bedrückte, machte ihr keine Sorgen: daß sie schmaler wurde und unstet und auf eine unerwartete Weise bescheiden.

    Der Junge:
    Es zeigte sich, daß sie eine sehr gute Schwimmerin war. An der kleinen Bucht, weit genug vom Haus entfernt, immer nur auf dem Rück-, nie auf dem Hinweg, zogen wir uns aus und stiegen über die runden, glatten Steine bis zu dem Sandstreifen hinaus, dort schwammen wir, sie mit hochgebundenem Haar, ohne Angst vor Quallen. Später, nachdem ihre Haut sich an die Sonne gewöhnt hatte, ließen wir uns vom Wind trocknen, bevor wir die Tüten und gefüllten Netze und Kartons aufnahmen und nach Hause gingen. Manchmal unterbrachen wir unseren Weg unter den verkrüpptelten Strandkiefern oder in dem Autowrack oder, was aber seltener geschah, am zerrissenen Rand einer Kiesgrube; immer war sie es, die das Zeichen gab. Wenn wir dann heimkamen, strengte er sich jedesmal an, den Eindruck zu vermeiden, als habe er auf uns gewartet. Niemals legte er es darauf an, uns nach unserer Rückkehr mit Blicken abzufragen oder sich nach etwas zu erkundigen, selbst wenn wir für den Weg die doppelte Zeit brauchten, die er selbst gebraucht hätte. Auch nachdem er uns an der kleinen Bucht zufällig beim Baden überrascht hatte - und so wie ich ihn kenne, war es ein Zufall - fiel kein weiteres Wort; er kam von den Werkstätten zurück, wo er einen Gummischlauch für »Ragnas« Kühlwasser geschnorrt hatte, und als er unser abgelegtes Zeug entdeckte und die im Schatten lagernden Waren, lud er sich stillschweigend auf, soviel er tragen konnte; er ging uns voraus und saß bei den Büchern, als wir ankamen. Daß er dennoch etwas spürte und auf seine Art versuchte, Klarheit zu gewinnen, bewies er mir an dem Tag, als der alte Rasmussen, der allein und auf eigene Rechnung nach Steinen fischte, mit seinem Seelenverkäufer »Wilhelmina« zum fünften Mal in Seenot geriet - wonach er wiederum Grund hatte, eines seiner sonderbaren Jubiläen zu feiern. (Er selbst hatte mir erzählt, daß er alle Jahrestage seiner sechs Verwundungen feierte.) Obwohl der Wind nur in Stärke vier die See bearbeitete, setzte Rasmussen das Notsignal; seine Steinladung war verrutscht, und er hatte bei offener Luke an die zehn Tonnen Wasser übernommen. Der Motor der »Wilhelmina« war stehengeblieben, die Lenzpumpe ausgefallen. Wir gaben ihm eine Schlepptrosse rüber und zwangen ihn, den Anker zu slippen - weswegen er später nur maulte und sich bei meinem Alten nicht einmal mit einem Handschlag bedankte. Obwohl seine hölzerne »Wilhelmina« vollgeschlagen und ich davon überzeugt war, daß sie uns wegsacken würde, manövrierte mein Alter so geschickt vor dem Wind, daß wir Peelmünde erreichten, wo die Fischer uns beim Festmachen mit mehr Anerkennung als Spott bedachten. Nachdem wir festgemacht hatten, rief er mich zu sich und beauftragte mich, mit einer Taxe nach Hause zu fahren, nur um Elisa zu sagen, was geschehen war und wohin es die »Ragna« verschlagen hatte. Er wollte die Nacht allein an Bord schlafen und am nächsten Tag zurückkehren. Ich meine, in ungetrübten Zeiten hätte er es sich nicht nehmen lassen, diese Nachricht selbst zu überbringen.

    Die Frau:
    Allmählich begriff ich, daß seine Annonce für mich zur Falle wurde: beide begrenzten sie. An einem Ende stand er, Johannes Willesen, stand da mit seiner

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