Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
ihrem schäumenden Eintauchen. Sie sank mir nach, ich packte sie, schlug sie, wagerecht schwebend, über einen Stein, an dessen Algenbärten die Strömung zerrte, gab das Zeichen mit der Leine, der Stein ruckte, lüftete sich, schwebte an meinem Gesicht vorbei nach oben: ein grummelnder Laut, ein kurzer Gewitterlaut, und er lag im Bauch der »Ragna«. Stein um Stein pickte ich ein, schickte ihn auf kleine Himmelfahrt, nicht systematisch, da uns der Reichtum der unterseeischen Bank kein systematisches Abräumen auferlegte. Wir räumten und räumten, bald müßte der Junge das Zeichen gehen, da entdeckte ich das glimmende Ungetüm, einen Brocken von mehreren Tonnen Gewicht, scharfkantig, bearbeitet offenbar zu dem Zweck, den Kiel eines hölzernen Schiffes aufzuschlitzen. Kaum konnte ich die Klauen des Greifers über ihn bringen, sie faßten nicht genug, sie beklemmten nur den Stein, doch das genügte offenbar, er ruckte und richtete sich auf und schwebte langsam empor, während die Winsch oben trocken fauchte und hechelte. Ich sah ihm nach, wie er durch die Oberfläche brach, stellte mir das Erstaunen des Jungen vor; dann kochte das Wasser über mir, schäumte von all dem, was von dem Brocken zurücktroff, und blasige Ringe entstanden. Jetzt wird er einschwenken, dachte ich, da wurde es dunkel über mir, das Wasser schwappte gewaltsam auf, und ich spürte nichts als einen heftigen kalten Druck, und dann riß es mich zurück, so schmerzhaft und über den Kopf, daß ich die Bewegung nicht ausgleichen konnte. Mich hatte der vorauslaufende Druck des Steins wie selbstverständlich weggeschleudert, aber die leichte Signalleine, die ich um die Hüfte trug, hatte er mit seinen scharfen Kanten mitgenommen und dort festgeklemmt, wo er aufgeschlagen war, so daß alle Signale, die ich hätte geben wollen, am Stein endeten. Doch da dies schon geschehen war, brauchte und wollte ich kein Signal geben. Er hatte sich viel angeeignet in all den Wochen an Bord, aber dies schien er immer noch nicht zu wissen: daß ein stürzender Stein keine Gefahr darstellt für den Mann am Grund, da der vorauslaufende Druck jeden Körper zur Seite schleudert. Aber nach allem, was geschehen war, ließ ich ihn in dem Glauben, daß er es geschafft hätte; ich schnitt mich von der Signalleine los und glitt, ohne zu zögern, an der Steinbank entlang in Richtung zum Ufer. Einmal schien es mir, als ob an der Unglücksstelle ein Gegenstand blasentreibend eintauchte, es kann auch ein Körper gewesen sein, seiner vielleicht, und vermutlich bei dem Versuch, sich vom Resultat zu überzeugen.
Der Junge:
Nein, es war nicht meine Absicht, obwohl einige - und auch Elisa - es annahmen: schon als der mächtige Stein ausbrach und triefend einschwenkte, sah ich, wie unsicher er in den Klauen hing, und dazu begann er langsam zu kreisen, worauf ich die Winsch sogleich drosselte. Dann fiel er zurück, schlug mit seinem ganzen Gewicht ein, schickte Blasen und Schlamm zur Oberfläche. Ich sprang von der Winsch zur Signalleine, zog, gab das Zeichen einmal und noch einmal, spürte, aber wollte nicht spüren, daß auf meinen fragenden Zug ein entschiedener Widerstand antwortete, das Gewicht des Steins, der die Signalleine beklemmte. In meinen Kleidern tauchte ich, zog mich an der Signalleine hinab, ertastete den Stein; sonst war nichts auszumachen. Ich holte den Anker ein und warf den Hilfsmotor an, ich lief allein zurück und meldete das Unglück im Hafenbaubüro, wo sie gleich eine Barkasse mit einem Berufstaucher auf den Weg brachten. Da ich die Signalleine nicht gekappt, sondern an einer kleinen Plastikboje befestigt hatte, fanden wir die Unglücksstätte sogleich wieder; der Berufstaucher wurde runtergeschickt, suchte den Grund systematisch ab, kam schon bald wieder herauf und sagte mit ruhiger Stimme, daß mein Alter nicht in der Nähe des Steins lag, daß es ihn aber dennoch erwischt haben müßte und er »irgendwie abgetrieben sei«. Hier liegt ja ne ganze Mole unter dem Wasser, sagte er außerdem. Nachdem wir die See in der Nähe abgesucht hatten, liefen wir zurück, und ich ging zu Fuß nach Hause in fremdem Arbeitszeug, das sie mir im Hafenbaubüro geliehen hatten, meine nassen Sachen trug ich in der Hand. Dieses Erschrecken hatte ich nicht vorausgesehen: als sie mir gegenübersaß, als ich ihr erzählte, was geschehen war, preßte sie ihre Finger auf die Schläfen, zitterte, biß sich auf die Unterlippe, ihr Kopf pendelte abwehrend hin und her. Sie ertrug nicht die
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