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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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leichteste Berührung. Wie sich ihre Pupillen weiteten! Sie konnte nur einen Satz wiederholen: Du hast es getan, du hast es also getan. Meine Antworten schienen sie nicht zu erreichen in der Tiefe ihrer Verstörtheit. Sie blieb einfach sitzen und überhörte und übersah alles, rührte nichts an von dem, was ich ihr anbot, und spät mußte ich sie in ihre Kammer führen. Am nächsten Morgen fand ich sie, wie sie in ihren Kleidern auf dem Bett lag und regungslos auf die gerissenen Balken der Deckte starrte. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu allem zu zwingen, was durch das Unglück notwendig geworden war, gemeinsam ließen wir ihn als vermißt melden - vermißt auf See -, gemeinsam zogen wir zu den verschiedenen Behörden, und auch seinen Nachlaß sahen wir gemeinsam durch in den folgenden Tagen und staunten darüber was er in seiner unerhörten Genügsamkeit zusammengebracht und uns hinterlassen hatte. Ursprünglich hatte er verfügt: zwei Drittel für sie, ein Drittel für mich; das hatte er später berichtigt und - ich weiß nicht, warum - uns mit halbe-halbe bedacht. Das aber konnte nicht der Grund ihrer Erschütterung sein, da sie diese und manche andere Eröffnung nur unbeteiligt zur Kenntnis nahm und nicht aufhörte, unter jeder Berührung zusammenzuzucken oder zu wimmern ohne äußeren Anlaß. Als ich ihr an einem Abend beibrachte, daß ich die »Ragna« nach Hause holen, mir einen Macker nehmen und die Steinfischerei fortsetzen wollte - jeden Tag lag jetzt die »Wilhelmina« des alten Rasmussen an unserer unterseeischen Steinbank -, schloß sie sich in ihre Kammer ein, doch dann, als wir von der Arbeit zurückkamen und am Anlegesteg festmachten, stand sie auf einmal am Strand, um mich abzuholen.

    Die Frau:
    Auch für ihn, auch für Sven, war es nicht das, was er sich gewünscht hatte: mit mir allein zu sein in diesem Haus. Seine Unruhe und Gereiztheit wurden nicht geringer mit der Entfernung vom Unglück. Es gelang ihm niemals mehr, zu genügsamer Untätigkeit zurückzufinden, auf dem Bett zu liegen und zu rauchen. Manchmal an Sonntagen fuhr er allein mit der »Ragna« hinaus ankerte dort, wo es geschehen war, setzte das Beiboot aus und ruderte zur Küste und suchte die leere Küste ab - gerade so, als könnte oder wollte er sich nicht zufrieden geben. Wenn er mir leid tat mitunter, versuchte ich ihn zu trösten, doch diese Versuche mißlangen und endeten mit seiner gesteigerten Reizbarkeit. Und wie sollte ich ihn auch trösten, da ich von seinem Vorsatz überzeugt war! Andererseits stellte er einmal mit Genugtuung fest, daß die Eintragung »vermißt auf See« einige Jahre so bestehen müßte, ehe man an eine Todeserklärung denken könnte; damit wollte er wohl eine Hoffnung durchschimmern lassen. Ich möchte nicht sagen, was geschehen wäre, wenn an einem dieser Tage Frank Pomella angeklopft und versucht hätte, mich zur Rückkehr zu überreden - in diesen Tagen, die ich vor allem damit zubrachte, die kümmerlichen Beete mit einer Kante aus schwarzgrauen Feuersteinen einzufassen. Sven fragte nicht mehr nach seinem Besuch, er verzichtete auf manches, ohne daß es zwischen uns ausgemacht worden wäre, und ich täuschte mich gewiß, wenn ich gelegentlich dachte, daß er vor meiner Tür zögerte. Ich konnte seine Berührungen nicht vergessen, doch ich fürchtete mich vor ihnen. Ich wagte einfach nicht, sehr weit vorauszudenken und dem, was uns eines Tages erwartete, mit einem Entwurf zu begegnen. Nur eine Sicherheit entstand: das Zusammenleben in diesem Haus konnte keine Dauer haben.

    Der Mann:
    Zurückgekommen bin ich nicht, um mir meine Vermutungen bestätigen zu lassen - ich hatte ja längst Gewißheit genug -, sondern weil das, was geschehen war, ausgeglichen und zu gleichen Teilen getragen werden mußte. Nachdem meine Entscheidung gefallen war, konnte ich auf jede Vorsicht verzichten, ich ging einfach zum Haus hinauf, betrat es, ohne anzuklopfen, suchte, da niemand sich meldete, in allen Kammern und sah dabei, was sie verändert hatten seit meinem Fortgang. Als die Frau vom Strand heraufkam - sie trug einen Eimer mit Feuersteinsplittern -, ging ich ihr bis zur Hecke entgegen, nahm ihr Handgelenk und zog sie ins Haus und forderte sie auf, sich an den Ecktisch zu setzen. Da ich alles vorausgesehen hatte - ihr Erschrecken ebenso wie ihre Ver blüffung und, gewissermaßen unterlegt, so etwas wie eine ratlose Freude, rührte ihre Reaktion mich nicht. Ich ließ keine Frage gelten, lehnte Erklärungen

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