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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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ab, beschränkte mich nur darauf, auf die Rückkehr des Jungen zu warten. Der kam nach einer Weile pfeifend ins Haus und fragte mehrmals laut an, ob er sich Zigaretten leihen könnte; die Frau jedoch antwortete nicht, und so stieß er, auf der Suche nach ihr, die Tür auf und sah mich: das gleiche Erschrecken, die gleiche verwirrte Freude, und dann eine Geste, die sich wohl zur Umarmung erweitern sollte, doch sie blieb unausgeführt, offenbar, weil meine Entschiedenheit sie nicht zuließ. Auch in seinem Fall ließ ich keine Fragen gelten. Nun, da wir zusammen waren, forderte ich sie auf, mit mir an Bord der »Ragna« zu gehen, ich selbst warf die Leinen los, und dann fuhren wir hinaus zu der unterseeischen Steinbank und warfen Anker auf dem alten Platz. Sie merkten, daß ich in allem einem Plan folgte, doch nach einigen Versuchen gaben sie es auf etwas von mir zu erfahren und führten nur mißtrauisch meine Anweisungen aus. Sie wagten nicht, sich zu widersetzen, selbst als ich meine Absicht bekanntgab, das glimmende, scharfkantige Ungetüm heraufzuholen, den Stein, der mir zugedacht war, wechselten sie nur einen besorgten Blick, der Junge legte das Tauchgerät an, und ich band ihm die Signalleine um und fierte die Klaue weg, nachdem er getaucht war. Er fand den Stein, er brachte den Greifer über ihn und ließ die Klauen zupacken, und danach muß er wie ich einst aufgesehen und den Brocken beobachtet haben, wie er pendelnd emporschwebte und durch die Oberfläche brach. Das stürzende Wasser wusch an ihm entlang, als er auftauchte und sich hob bis zu dem Punkt, an dem er eingeschwenkt werden mußte. Ich stoppte das Spill, winkte die Frau heran, ließ sie die Sperre lösen und sogleich auch den Zug tun, der die Klauen des Greifers öffnet. Sie tat es skeptisch, ohne die Wirkung vorauszusehen, und dann stürzte der Stein mächtig aufschwappend zurück und schickte schaumige Spritzer bis zu uns hinauf. Um Himmels willen, sagte sie, um Himmels willen, was ist denn nun geschehn? Ich löste die an die Reling gebundene Signalleine und warf sie über Bord; danach zog ich das Beiboot heran, unter dem Vorwand, das Wasser abzusuchen, sprang hinein und stieß ab und ruderte mit dem Wind, mit der Strömung davon. Ihr Rufen hörte auf, schließlich auch ihr Winken mit dem weißen Tuch.

    Der Junge:
    Bis zuletzt hatte ich geglaubt, er wollte nur etwas feierlich demonstrieren, so auf seine Art, und das heißt, daß man im Tun etwas begreift und das Grundsätzliche mitlernt. Deshalb war ich nicht allzu erstaunt, als er mich runterschickte und mir eigenhändig die Signalleine umband; allerdings merkte ich auch, daß das, was ich tat, Teil eines größeren Planes sein sollte, doch das war erst an der Bordwand, als er mich ohne Schlag verabschiedete. Der Stein, den wir gemeinsam heben wollten, lag mit seiner Schmalseite nach oben, die Klauen faßten gut und hielten ihn so sicher, daß er, wenn man die Sperre nicht vorsätzlich löste, niemals zurückstürzen könnte. So blieb ich an der Stelle und blickte ihm nach, sah ihn bewegungslos als zerlaufenden Schatten über der Wasseroberfläche, bis er auf einmal zurückfiel. Ich versuchte, zur Seite wegzugleiten, und noch in der Bewegung, die mich kaum in Sicherheit gebracht hätte, spürte ich den vorauslaufenden Druck wie eine ungeheure Faust, die mich herumriß und wegschleuderte, soweit die Signalleine es nur zuließ. Ich schnitt mich los, schwamm zurück in den blasigen Aufruhr an der Absturzstelle, wo Algen und Schaum und Grundsand durcheinandertrieben und ertastete den Stein. Ich ahnte, wer die Sperre gelöst hatte, glaubte zu verstehen, was hier hätte geschehen sollen, und während ich, waagerecht am Stein hängend, »Ragnas« plumpen Schatten absuchte und erkannte, wie der geringe Schatten des Beibootes sich entfernte, begriff ich auf einmal die Gelegenheit: sachte bewegte ich mich auf das Ufer zu, immer mehr weg von »Ragna«, immer sicherer vom Beiboot.
      Dort am Ufer hatte sich der Weißdorn schon den Strand erobert. Es hatte zu dämmern begonnen.

    Die Frau:
    Er war es, der mich aufforderte, die Sperre zu drücken, und er war es, der mir die Reißleine gab: ich hab doch nur das getan, was er von mir verlangte, ich wußte ja nicht, was geschehen würde. Sie ließen mich einfach allein an der Unglücksstelle, allein auf diesem schwarzen Schiff, das ich haßte, vom ersten Augenblick an, und ich mußte eine Nacht dort aushalten, ehe der alte Rasmussen mich fand, mich dort liegen

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