Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
festhalten.
Loslassen.
Meine Finger lockern sich.
Die Entscheidung ist gefallen.
2.
Eine Jahreszeit zuvor
H eute ist die Hochzeit meines Exfreunds. Und meiner besten Freundin. Vielleicht sollte ich noch sagen, es handelt sich dabei um ein und dieselbe Veranstaltung. Aus Pietätgründen heiraten sie nicht in der von Frederik für uns einst angedachten Kapelle, sondern in der Sankt Antonia am anderen Ende der Stadt. Sehr rücksichtsvoll. Er steht in diesem Moment vor dem Pfarrer, ich stehe in unserer Kapelle. Ohne Pfarrer. Ohne ihn. Dafür mit all unseren Freunden. Langsam drehe ich mich in meinem rauschenden, feuerroten Kleid zu ihnen um, danke ihnen mit einem Lächeln für ihr Kommen und erhebe den Kopf.
»Ich, Anna Lenartz, schwöre, in guten wie in schlechten Zeiten, in Armut und Reichtum, in Gesundheit und Krankheit, meine Freiheit zu lieben und zu ehren, ihr treu zu bleiben und ein Leben in Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu führen, bis ich tot umfalle.«
Meine Freundin Lena lacht, während ihr Mann das Gesicht verzieht. Ich greife indessen nach dem Samtkissen hinter mir auf dem Altar, an dem ein funkelnder Ring mit einem Band festgebunden ist. Langsam ziehe ich an einem Ende des Bandes und streife mir das Schmuckstück feierlich über den Finger.
»Ich nehme diesen Ring als Zeichen meiner Freiheit.« Ich halte kurz inne, um meine ausgestreckte Hand zu betrachten. Und irgendwie bin ich in diesem Moment glücklich, jetzt nicht in der Sankt Antonia zu stehen, was mir dennoch einen kleinen Stichversetzt. Aber ich kümmere mich nicht weiter drum. Stattdessen lasse ich den Saum meines Kleides in einer Drehung zu meinen Freunden heftig rauschen.
»Und, Mädels, hat jemand Interesse am Brautstrauß?«
3.
Flitterwoche
I ch kann jetzt nicht mit dir schlafen.« Ohne in seine höchstwahrscheinlich zutiefst vorwurfsvoll dreinblickenden Augen zu sehen, versuche ich einen Tag nach meiner Marry-me-Party, an meinem Nachbarn vorbeizustürmen. Zwecklos. Da ich mich noch einige Stufen unterhalb seiner Wohnungstür befinde und sich zudem auch noch meine Einkaufstasche im Gitter des Treppengeländers verhakt hat. Zwei pralle, sonnenrote Fleischtomaten rollen aus dem Jutesack die abgetretenen Holzstufen herunter. Jede Flucht hat seine Opfer, denke ich, immer noch in der Hoffnung, ohne größere Diskussionen an Tim vorbeizukommen.
»Wir haben eine Abmachung«, mault mein Nachbar. Die Wehmut in seiner Stimme sagt mir, meine Hoffnung ist hoffnungslos. Ich versuche dennoch, dem Gespräch zu entgehen. Einfach vorbeimarschieren. Ohne hinzugucken. Anna, sieh ihm nicht in die Augen!
»Nein, Tim. Du kannst nicht jeden zweiten Tag einen Notfall haben, nur weil wir einen Notfallplan haben«, grummle ich.
»Kann ich wohl.«
Nun bleibe ich doch stehen, schiebe die Post unter meinen Oberarm und die Einkaufstasche auf die Spitzen meiner Ballerinas, während Tim sich durch die abstehenden blonden Haare fährt. Ein flüchtiger Blick sagt mir, dass er die letzte Nacht in jener Jeans und dem T-Shirt verbracht hat, in denen seine schlaksigen Arme und Beine immer noch stecken.
»Ich bin emotional instabil«, erklärt er und gähnt. »Kaffee für Anna?«
»Tim. Falls wir das mit uns intensivieren, dann ist der Notfallplan hinfällig, und du brauchst einen Notfallplan für mich.«
»Richtig.«
Mein Herz wird weich, als Tim anfängt, am ausgefransten Saum seines Shirts rumzuzupfen, von dem mich Supermario anzwinkert. Vor dieser Sorte T-Shirt-Träger muss man sich als Frau mit echten Bindungsambitionen in Acht nehmen. Die wollen nur spielen.
»Ist es wegen Claudia?« Ich versuche, Tims auf den Shirtkragen gerutschtes Kinn wieder aufzurichten.
»Ich hab mich von ihr getrennt.«
»So? Aha. Aber ich dachte, ihr hättet bereits übers Heiraten gesprochen?«
»Richtig. Deswegen habe ich mich von ihr getrennt.«
»Du hast mir gestern gesagt, Claudia wäre wie die perfekte Welle beim Surfen, auf die man sein Leben lang wartet. Waren das nicht deine Worte?«
»Aber deswegen heirate ich sie doch nicht.«
Ich blicke meinen Nachbarn bestätigend an, während die Briefe unter meinem Arm langsam gen Ellenbogen rutschen. Tims perfekte Wellen halten im Schnitt drei Monate. Danach verrauschen sie in der Bucht, und Tim schwingt sich wieder raus aufs Meer auf der Suche nach einer neuen Nixe. Claudia hatte es auf ganze fünf Monate geschafft. Wahrscheinlich hätte sie auch noch den Herbst mit meinem Nachbarn erlebt, wenn sie nicht das Wort
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