Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
und tat desgleichen. Als Heinrich zögerte, ungläubig und überwältigt von dem, was er sah, erhielt er von ihrem Lenker einen schweren Stoß und taumelte vom Gefährt, stolperte, sank auf die Knie. Am Rande bekam er mit, dass Farid ein ähnliches Schicksal widerfuhr, doch seine Aufmerksamkeit blieb auf den vollkommen anachronistisch anmutenden Mann gerichtet, der sich nun erhob und die Stufen herunter schritt. Der Forscher wurde gewahr, wie absonderlich diese Konstellation war: Er hatte nach Spuren der längst vergangenen Geschichte gesucht, aber nie mit so etwas gerechnet. Wie auch? Das alte Ægypten war seit Jahrtausenden nicht mehr. Es gab keine Pharaonen mehr, keine Sklaven, die gewaltige Grabmäler errichteten, und erst recht konnte es keinen Raum geben, der von Mumien überquoll. Mumien setzte man einzeln in Sarkophagen bei, seien sie nun prächtig oder schmucklos, seien es Könige oder Diener, sie wurden nicht einfach irgendwo abgelegt. Das widersprach allem, was er über die Jahre gelernt hatte.
Der Mann hatte den Fuß der Treppe erreicht und sprach: „Willkommen, Heinrich Jonas. Ich habe Euch erwartet. Wenn jemand dies hier finden konnte, dann Ihr, das spürte ich in den letzten Wochen. Ihr mögt die Atemgeräte abnehmen, es droht keine Gefahr von Schimmelpilzen, oder“, er hielt inne und lachte trocken, „Flüchen.“
Der Forscher erkannte die Stimme, hob den gesenkten Kopf, riss die Atemmaske ab und keuchte: „Al Hadary?“
„In der Tat“, sagte der Kurator in seinem beinahe akzentfreien Deutsch. „Doch bitte“, er bedeutete den beiden, ihm zu folgen, „wir wollen in gebührender Umgebung reden, wie es Ehrenmännern zusteht.“ Mit diesen Worten, die freundlich schienen, eine Freundlichkeit, die jedoch abermals nicht die Augen des Ægypters erreichte, geleitete Al Hadary den Forscher und dessen Freund um das Podest herum. Erneut glaubte Heinrich, seinen Sinnen nicht trauen zu dürfen, denn auf der Rückseite des Sandsteinbaus fanden sich ein Diwan, zwei Sessel und ein niedriger Tisch, alle in einem beliebten venezianischem Stil. Nichts hätte sich in dieser verrückten Szenerie aus Gewölbe, Mumien und Sandstein absonderlicher ausnehmen können. Das eigentümliche Aussehen ihres Gastgebers passte immerhin ins Bild, aber diese Möbel muteten anachronistisch an, viel zu modern, wie aus einer anderen Welt.
Während sich ihr Fahrer im Hintergrund aufbaute, die Arme verschränkte und es dabei verstand, bedrohlich zu wirken, wies der Kurator auf den Diwan und schenkte aus einer silbernen Kanne ein intensiv duftendes, schwarzes Getränk ein. Bei diesem schien es sich um Mokka zu handeln, ein seit wenigen Jahrzehnten beliebtes Heißgetränk, das aus einer Art Bohne hergestellt wurde, die aus Abessinien und den Sultanaten von Somalia stammte und das auch unter dem Namen „Kaffee“ bekannt war. Die Bohnen kamen aus den von den Hausa und Zulu kontrollierten Teilen Afrikas und waren in Europa sündhaft teuer.
Sodann wies ihr Gastgeber einerseits auf Zucker und ein Milchtöpfchen, andererseits auf kleine Gebäckstücke, die Heinrich als osmanische Baklava erkannte. Beinahe mechanisch griff er zu, schenkte sich vom starken, aromatisch duftenden Gebräu ein und nutzte eine ziselierte silberne Zange, um Backwerk auf seinen Teller zu bugsieren. Da Farid wie erstarrt schien und Heinrich fand, man müsse dieses Spiel mitspielen, tat er auch seinem Freund auf, setzte sich dann ebenfalls und hielt die Tasse wie einen Anker, der ihn in einem Meer des Irrsinns mit Vertrautem erdete.
Ihr Gastgeber kaute mit Bedacht auf einem Stück Baklava und spülte mit Mokka nach, ehe er Heinrich mit stechendem und dennoch unstetem Blick in die Augen sah und zu sprechen begann: „Die Bibliothek von Alexandria. Was wissen Sie darüber?“
Heinrich atmete tief durch. Das war sein Gebiet. Er würde vorerst auf dieses Spiel Al Hadarys eingehen, auch wenn er noch nicht genau ermessen konnte, nach welchen Regeln es ablief: „Die Bibliothek war der größte Wissensspeicher des Altertums. Sie wurde etwa 1278 v. d. N. von Demetrios von Phaleron und anderen etabliert. Das glauben zumindest viele Gelehrte; ich bin der Ansicht, sie müsse bereits zuvor entstanden sein, vermutlich schon zur Gründung der Stadt Alexandria. Sie enthielt kostbares Wissen aus der Zeit der frühen griechischen und römischen Staaten.“
„Sie enthielt nicht nur das, junger Mann.“ Der Ægypter beugte sich vor und kniff die Augen zusammen: „Sie
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