Eis und Wasser, Wasser und Eis
wütenden Blick zu.
»Ich bin kein armer Teufel!«
Susanne muss wieder lächeln.
»Doch«, sagt sie. »Genau das bist du. Ein armer Teufel.«
Eine Weile bleibt es still. Reglos stehen sie da und sehen einander an, das Springmesser zwischen sich. Schließlich seufzt Susanne.
»Ich habe mir so viel überlegt, was ich dir sagen wollte«, erklärt sie. »Darüber, was es wohl über einen Menschen aussagt, wenn er an die Wände anderer Leute pisst. Beispielsweise. Darüber, was meine Eltern und Björns Mutter haben durchmachen müssen. Was ich durchgemacht habe, damals. Aber ich will nicht behaupten, dass sein Tod deine Schuld ist, denn das glaube ich wirklich nicht, ich wollte dich nur daran erinnern, dass du definitiv keinen Grund hast, ihn zu beneiden. Björn ist vor vierzig Jahren gestorben, und du lebst immer noch. Du lebst. Du hast genau jetzt deinen kleinen Lichtkegel in dem großen Dunkel, aber das ist dir scheißegal …«
Sie verstummt. Verzieht das Gesicht.
»Ach was. Ich habe keine Lust, mit dir zu reden. Eigentlich habe ich dir überhaupt nichts zu sagen.«
Sie seufzt und verstummt, lässt die Hand mit dem Springmesser etwas sinken, sieht im nächsten Moment, wie Robban den Rücken aufrichtet. Sie hebt es wieder und zeigt damit auf ihn.
»Du hast zwei Alternativen«, sagt sie. »Vielleicht sogar drei, wenn wir die Alternative mit einberechnen, dass du dich auf mich wirfst und versuchst, mich zum Schweigen zu bringen. Aber das ist ja keine richtige Alternative, das wissen wir alle beide. Deine Hand ist verletzt, und das weiß ich, also werde ich als Erstes nach dieser Hand greifen und hineinbeißen. Außerdem werde ich schreien können. Was du auch versuchst, ich schreie vorher. Bleiben also zwei Alternativen. Wir können dafür sorgen, dass der Kapitän kommt. Ich schreie, und aus der Kabine nebenan werden Ola und Magnus stürmen, sowie der eine oder andere Matrose oder Maschinist aus anderen Kabinen. Wie auch Vincent und Amanda weiter hinten auf dem Flur. Ich werde erzählen, dass ich dich in meiner Kabine gefunden und bei etwas Verdächtigem überrascht habe. Dieser Kopf, du weißt schon. Das wird nicht gut für dich aussehen. Okay. Jemand wird den Kapitän alarmieren, die anderen halten dich fest. Für den Rest der Expedition wirst du eingesperrt werden, und wir sehen uns dann vor irgendeinem Gericht, wenn wir wieder zu Hause sind.«
Robban kräuselt die Oberlippe und versucht trotzig dreinzuschauen. Er stellt sich wahrscheinlich weitere fünfzehn Minuten im Rampenlicht vor. Susanne seufzt leise.
»Ich werde diejenige sein, die interviewt wird«, sagt sie. »Und ich werde nicht diskret sein, was das Pissen an meine Wand oder deine Beziehung zu Amanda betrifft. Nur dass du das weißt. Das könnte einen Einfluss auf deine Position an der Universität haben.«
»Und die dritte Alternative?«, fragt Robban. Mit einem Mal wirkt er nüchtern.
Susanne seufzt erneut.
»Die dritte Alternative besteht darin, dass du mir den Schlüssel gibst. Ich weiß nicht, woher du ihn hast, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht besonders. Aber wenn du mir den Schlüssel gibst und mir nicht wieder unter die Augen kommst, dann werde ich vergessen, dass ich dich jemals gesehen oder auch nur deinen Namen gehört habe. Was wirklich eine Befreiung wäre. Du wirst eine Unperson für mich sein. Nicht existent. Wie klingt das?«
Robban bleibt eine Sekunde lang reglos stehen und starrt vor sich hin, ehe er zu einem Entschluss kommt. Er steckt die Hand in die Tasche und zieht einen Schlüssel heraus, wirft ihn Susanne zu. Es ist ein ganz genau berechneter Wurf, der Schlüssel trifft sie nicht, sondern landet direkt vor ihren Füßen. Susanne sieht ihn an, hebt dann den Kopf.
»Heb ihn auf«, sagt sie. Ihre Stimme ist eiskalt. Sie hört es selbst.
Robban sieht ihr in die Augen, vorsichtig lächelnd. Er geht die fünf Schritte zu ihr, kniet sich hin, hebt den Schlüssel auf und hält ihn ihr hin. Spielt Theater. Sehnt sich nach Publikum. Weitere Strähnen sind aus seinem Pferdeschwanz gerutscht, eine dicke Haarsträhne hängt ihm übers rechte Auge. Das reizt Susanne. Es bringt sie schier zum Wahnsinn. Sie beugt sich vor, ergreift die Strähne und wickelt sie sich um die freie Hand, zieht fest daran. Robban schreit auf, es ist ein kurzer, schriller Schrei. Er hebt die Hände, um sich zu schützen, lässt sie dann sinken, kniet mit geschlossenen Augen vor ihr.
»Halt die Schnauze«, sagt Susanne. Sie hört sich
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